Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
Vom Netzwerk:
entsetzlich ungesittete Zeiten, ließ der wohlinformierte
Mann sich vernehmen, und es sei wirklich ein Jammer, daß die Zeitungen jetzt
nicht mehr alles veröffentlichen dürften, was bei den Scheidungsprozessen ans
Licht käme; nichts halte die Moral der Leute besser aufrecht, als wenn sie die
abschreckenden Beispiele des sittenlosen Lebenswandels bei den Engländern sehen
könnten. Und was nun Guthrie angehe, da sei es ein schrecklicher Gedanke, daß
er das Mädchen nicht aus Pflichtgefühl als seine uneheliche Tochter aufgezogen
habe, sondern um eine Geliebte aus ihr zu machen.
    Bei diesen Worten kicherte Carfrae von neuem und druckste eine Weile
herum und machte seine Andeutungen, und am Ende begriff der Zeitungshändler,
worauf er hinauswollte, und soviel er auch über das sündige Leben der Engländer
gelesen haben mochte, war er, glaube ich, trotzdem so unverdorben, daß er
ehrlich entsetzt war bei dem, was er da zu hören bekam. »Wollen Sie etwa
andeuten«, sagte er zu Carfrae, »daß diese beiden Thesen sich nicht gegenseitig
ausschließen?«
    Ich habe meine Zweifel, ob der kleine Gemüsehändler das verstand – aber was Rob Yule tat, das verstand er gewiß. Denn Rob ging hinüber zu ihm,
nahm ihm das Glas Ginger Ale aus der Hand und goß es bedachtsam in Mistress
Roberts’ Aspidistra, die neben ihm stand. »Carfrae«, sagte er, »so ein
Gesundheitstrunk ist reine Verschwendung bei Ihnen. Die Vorsorge können Sie
sich sparen. Sie stecken schon längst bis obenhin voll mit Gift.«
    Die Situation war nicht gerade das, was man prekär nennen könnte, denn
der kleine Gemüsehändler hätte nie genug Mumm in den Knochen gehabt, sich mit Rob
Yule zu prügeln. Aber die Stimmung war doch angespannt; Carfrae hatte eine grünlichgelbe
Färbung angenommen, wie ein vertrockneter Kohlkopf aus seinem Laden; der Zeitungshändler
redete irgendwelchen Unsinn, daß das ja im Grunde schon ein tätlicher Angriff gewesen
sei, und Mistress Roberts hatte zum Löffel gegriffen und rührte energisch in ihrem
Teetopf – wie sie es immer tat, wenn sie an etwas Anstoß nahm. Und dann hatte Will
Saunders, der ebenso wie ich den Mund gehalten hatte, die richtige Idee, wie sich
die Lage entschärfen ließ. »Mensch«, rief Will, »seht euch die Aspidistra an!«
    Ich glaube nicht, daß die Pflanze wirklich Schaden von dem
Gesundheitstrunk genommen hatte, aber so wie Will es sagte und mit dem Finger
auf das arme, kümmerliche Ding in seinem Topf zeigte, konnte man wirklich
glauben, daß sie erst in diesem Augenblick verwelkt war. Ich weiß noch, wie ich
vielleicht ein wenig lauter gelacht habe, als sich für einen Mann in meinen
Jahren gehört, noch dazu einen Presbyter. Auch Rob lachte herzlich, doch der
Preis war, daß wir nun Mistress Roberts wirklich tödlich beleidigt hatten, denn
sie rührte in ihrem Teetopf wie wild und stieß dabei Laute aus wie eine
aufgescheuchte Glucke. Schließlich war ja für die Wirtin der Gesundheitstrunk
eine Art Symbol in ihrem Kampf gegen Roberts und gegen die gesamte Welt des
Dämons, in die sie da eingeheiratet hatte. Und wohl hauptsächlich um die treue
Seele zu beruhigen und abzulenken, rief Will als nächstes: »Mistress Roberts,
ob wir wohl einen Blick in Ihren großen Atlas werfen könnten und nachsehen, wo
dieses Neufundland eigentlich liegt?«
    Mistress Roberts’ Söhne fuhren beide zur See, und die Mutter war
mächtig stolz auf den großen Atlas, den sie ihr geschenkt hatten, damit sie
ihre Fahrten darauf verfolgen konnte. Und so sehr sie auch die verachten
mochte, die kamen und ein anständiges Glas Bier bei ihr tranken und ihr damit
halfen, ihr Dach über dem Kopf zu behalten, konnte sie doch bei einer solchen
Bitte nicht nein sagen; sie ging und holte den Atlas, und eine neue Kanne Tee
brachte sie ebenfalls mit.
    So beugten wir uns denn alle – ausgenommen Carfrae, der
Gemüsehändler, der noch immer schmollte, weil wir uns über ihn lustig gemacht
hatten – über die Karte, und Will fragte, ob Neufundland denn in Amerika liege.
Das liege genausowenig in Amerika, antwortete ich ihm, wie Kanada dort liege;
auf dem amerikanischen Kontinent, das schon. Und dann überlegte Will, wo
Guthries amerikanische Vettern wohl lebten, die Burschen, die ihn seinerzeit
ins Irrenhaus hatten stecken wollen.
    Nun war Mistress Roberts wieder obenauf, und Wills ungezogener
Scherz über ihre Aspidistra war vergessen; sie bot Tee für alle an, und selbst
als Rob Yule dankend ablehnte – er wolle lieber noch

Weitere Kostenlose Bücher