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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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das
schlammverspritzte Fahrrad in einen Stall, und stieg die hohe Steintreppe
hinauf – bei dem Schneematsch keine ungefährliche Sache. Sie zog den Riegel der
Tür, und tatsächlich war niemand auf die Idee gekommen, ein Schloß vorzuhängen,
tatsächlich waren die Strohbetten noch da und warteten anheimelnd nach dem
schneidenden Wind und der eiskalten Luft. Besser sie blieb hier allein, dachte
sie, als daß sie auf Erchany Unterkunft bei Leuten suchte, die ihr nicht
geheuer waren.
    Sie war naß bis auf die Haut, obwohl sie einen guten Regenmantel
anhatte, und sie ging ans andere Ende des spärlich erleuchteten Bodens und
legte ihre Kleider ab. Sie war fast ganz ausgezogen, sagt sie – der Leser wird
merken, daß es bei den Geschichten, die in Kinkeig erzählt werden, selten ohne
Nacktheit abgeht –, fast nackt war sie also, als es plötzlich düster auf dem
Heuboden wurde. Offenbar hatte der Wind die Tür, die sie nur angelehnt hatte,
nun zugeblasen, und sie wollte hingehen und nachsehen. Doch was erblickte sie,
als sie sich umwandte? Im letzten Tageslicht zeichneten sich die schaurigen
Umrisse einer Männergestalt ab, und sie kannte diese hagere Gestalt: niemand
anderes war es als Ranald Guthrie.
    Die Lage, in der unsere Dorflehrerin sich befand, war also gar nicht
viel anders als seinerzeit diejenige der jungen Isa Murdoch – ich will nur
hoffen, daß das meinem Schriftstellerfreund nicht zu eintönig wird. Miss
Strachan hingegen fand ihre Lage gewiß ganz und gar nicht monoton; sie stieß
einen Schrei aus, der den Gutsherrn wohl ebenso erschreckt hätte, wie dieser
sie erschreckt hatte, hätte er nicht im gleichen Augenblick die Tür
zugeschlagen und draußen einen großen Riegel vorgeschoben. Die klatschnasse
Bathseba am anderen Ende des Raumes hatte er gar nicht bemerkt und hätte wohl
auch, hätte er sie gesehen, anders darauf reagiert als König David; er hatte
nur die Tür vor dem Sturm verschließen wollen, und schon im nächsten Augenblick
hörte sie seine Schritte im Schneematsch der Treppe.
    Doch als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, sah sie, daß ihre
Lage so schlimm gar nicht war, wenn Guthrie nicht gerade auf dem Bauernhof
blieb. Sie war nicht hoffnungslos gefangen – es gab noch einen Ausweg, eine
Falltür, die vom Boden ins Haus führte und allerdings keine Leiter hatte, weil
sie nie benutzt wurde; und sie hatte ihre Kleider und die Strohsäcke und konnte
sich daraus einen Strick drehen, an dem sie herabklettern konnte, so wie sie es
auf der Akademie gelernt hatte, als man ihr die athletischen Ideale einimpfte.
Und wenn sie erst einmal unten war, würde sie ja später gewiß zu einem der
Fenster hinauskommen. Einstweilen streifte sie sich ihre nassen Kleider wieder
über; es ging ja nicht anders, nun wo ein Mann in der Nähe war.
    Und daß Guthrie nach wie vor da war, stand fest; sie konnte ihn
durch die dünnen Bodenbretter im Erdgeschoß auf- und abgehen hören,
wahrscheinlich gar nicht soviel anders als er seinerzeit in der Galerie auf-
und abging. Sie fragte sich, was denn den Gutsherrn bei diesem Wetter aus der
Burg getrieben haben mochte; es schien fast, als warte er auf jemanden, und
kaum war ihr dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, rief Guthrie mit lauter
Stimme: »Herein!«
    Nichts regte sich darauf, so als habe er es nur hinaus in den Sturm
gerufen oder als hätte die Aufforderung den, an den sie gerichtet war, für den
Augenblick zum Erstarren gebracht. Doch wieder forderte der Gutsherr ihn auf,
und Miss Strachan schwor, daß seine Stimme dabei etwas Spöttisches hatte.
    »Nur herein, junger Mann!«
    Wieder folgte eine Pause, dann wurde die Tür mit großer Vehemenz
aufgeworfen, wie zur Antwort auf Guthries Spott. Eine weitere Pause, dann
wieder Guthries Stimme, so anders nun und so leise, daß sie kaum durch die
rissigen Dielen drang.
    »Sie sind das also.«
    Die Lehrerin, ob nun wegen der durchweichten Kleider oder wegen des
Tonfalls, mit dem diese Worte gesprochen wurden, zitterte in ihren nassen
Schuhen. Doch man kann sich darauf verlassen, daß ihre neugierige Nase
inzwischen kitzelte, und ihre scharfen Augen suchten im Dunkel nach der
richtigen Ritze, an die sie ihre großen Ohren halten konnte. Und schon bald
vernahm sie die Stimme von Guthries unbekanntem Besucher, jung und stark und
trotzig, eine Stimme, die sie nicht kannte.
    »Wo ist Christine?«
    »Heute werden Sie Christine nicht besuchen, Neil Lindsay. Und Sie
werden sie überhaupt nicht mehr sehen, jetzt wo

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