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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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ich euch zweien auf die
Schliche gekommen bin.«
    Nun wußte sie es also. Neil Lindsay war kaum mehr als ein Name für
Miss Strachan, die schließlich halb Engländerin war und aus Edinburgh kam, aber
sie verstand doch genug von unserer Gegend, um zu wissen, daß die Fetzen
fliegen würden, wenn ein Lindsay auf die Idee kam, Christine Mathers den Hof zu
machen. Und jetzt, in der langen, schmalen Bauernküche unter ihr, da war es
soweit.
    »Wo ist sie, Guthrie?«
    Es war Trotz, daß er zum zweiten Male fragte und Guthrie bei seinem
Nachnamen nannte, wo er doch nichts weiter als ein Pächtersjunge war; doch
Lindsay hatte ganz recht, die Historie war auf seiner Seite, wie der Leser noch
erfahren wird. Und nun hörte unsere Lehrerin, wie Guthrie ganz ruhig und
besonnen antwortete: »Zufällig ging ich den gleichen Weg wie Christine und kam
dazu, wie sie Ihre Nachricht fand. Ich habe sie zurück ins Haus geschickt und
an ihrer Stelle hier auf Sie gewartet. War das falsch von mir? Wollen Sie etwas
einwenden?«
    »Sie ist ihr eigener Herr.«
    »Nicht, wenn Sie ihr Herr werden wollen.«
    Das war ganz nach dem Geschmack unserer Lehrerin; sie preßte ihr Ohr
an die Dielen und versuchte das Geräusch zu deuten – vielleicht war es Lindsay,
der einen raschen Schritt auf den Gutsherrn zu machte. Doch dann hatte er sich
offenbar wieder in der Gewalt, und er sprach, mit mühsam beherrschter Stimme
und größtem Ernst: »Ich will sie heiraten, Guthrie.«
    Der Gutsherr erwiderte: »Das lasse ich nicht zu.«
    »Und sie will mich heiraten.«
    »Das lasse ich nicht zu.«
    »Wir werden Mann und Frau, Guthrie, und Sie werden uns nicht daran
hindern.«
    »Das werde ich sehr wohl, Neil Lindsay.«
    »Und wie?«
    »Christine ist minderjährig, und das wissen Sie genau.«
    »Aber nicht für immer. Und noch eine Frage wäre zu klären.«
    »Tatsächlich?«
    »Wie steht Christine zu Ihnen?«
    Die beiden redeten nicht um den heißen Brei herum, sie brachten klar
zur Sprache, was zwischen ihnen zu bereden war. Die Lehrerin war in einem
regelrechten Rausch; gemütlich lag sie auf ihrem Heuboden, von niemandem
bemerkt, und hörte eine Geschichte, neben der die Erlebnisse Isa Murdochs bei
den Teekränzchen in Kinkeig kalter Kaffee sein würden. So angelte sie denn nach
einem Stück Schokolade und wünschte nur, sie könnte sich eine Zigarette
anstecken – eine schlechte Angewohnheit bei einer Frau. Dann preßte sie wieder
das Ohr an die Dielen, um zu hören, was Guthrie antworten mochte.
    Aber sie hatte die Rechnung ohne den Winter in Glen Erchany gemacht.
Der Sturm, der sich bisher ja nur geräuspert und ein paar Versuche unternommen
hatte, legte nun wirklich los, der Wind heulte – was in der Natur ja längst
nicht so oft vorkommt wie in Büchern –, und der Graupel, nun fast ganz Regen,
prasselte in großen Schwaden auf das Schieferdach wie Salven von
Maschinengewehrfeuer. Guthrie und der junge Lindsay hätten gemeinsam Auld Lang Syne singen können, und sie hätte es trotzdem
nicht gehört, oder – was ja wahrscheinlicher war – sie hätten sich im selben
Augenblick gegenseitig die Kehle zudrücken können. Sie machte sich wirklich
Sorgen, erzählte sie später, und zwar um beide: ein wahrer Menschenfreund, Miss
Strachan.
    Man muß allerdings sagen, daß ihre Sorgen berechtigt waren. Denn
nach zwei oder drei Minuten kam eine kurze Flaute im Tosen der Elemente, und
sie vernahm Lindsays Stimme, heiser vor Wut: »Sagen Sie das noch einmal –«
    Und Guthrie sagte: »Ob verheiratet oder nicht, von Ihnen wird sie
kein Kind bekommen – wenn es nicht schon zu spät ist.«
    Dann hörte man einen Schlag wie von einer Ohrfeige, und die nächsten
Worte Lindsays kamen leise und schockiert. »Der Himmel möge mir verzeihen.
Einen Mann, der alt genug ist, mein Großvater zu sein! Es tut mir leid,
Guthrie; nicht all das böse Blut, das zwischen unseren Familien –«
    Guthrie sagte nur: »Das werden Sie büßen.«
    Und diese Worte, melodramatisch wie aus einem alten Spiel, das man
in einer Scheune aufführt, waren die letzten, die unsere Lehrerin hörte. Denn
im selben Moment kehrte der Wind zurück und blies irgendwo im Haus eine Türe
auf, und sie, die wohl doch ängstlicher war, als sie zugeben wollte, hielt es
für einen Pistolenschuß und brüllte oben auf ihrem Dachboden Zeter und Mordio.
    Das dürfte auch den beiden unten einen gehörigen Schrecken versetzt
haben. Lindsay machte sich davon, und Guthrie ging, besonnen genug, sogleich
dem Vorfall

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