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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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sie
ließ sich auf einer meiner Werkbänke nieder und sog den Geruch des Leders ein und
befühlte die Texturen, so als finde sie darin eine Kraft, die man nur in starken,
rauhen Dingen findet. In diesen späteren Zeiten, wo sie nur noch selten kam, sah
sie mich oft an, als wolle sie mir ihr Herz ausschütten, aber dann redete sie doch
über nichts weiter als über die Nichtigkeiten des Tages. Verträumt saß sie da, spielte
mit einem Stückchen Leder, und entwikkelte sich doch so selbstverständlich und ohne
jeden Widerstand zur Frau, wie eine Blüte auf der Heide sich öffnet. Ich konnte
mir denken, was geschehen war, lange bevor die Lehrerin mit dem unglückseligen Namen
des Jungen nach Kinkeig kam.
    Dazu muß man ein wenig über die Guthries und die Lindsays wissen – und zwar mehr, als in Pitscotties Chroniken zu finden
ist. Lang soll das den Leser nicht davon abhalten, Christine näher
kennenzulernen – es ist schließlich keine Abhandlung über den Feudalismus in
Schottland, die ich hier schreibe –, und ich hatte ihn ja gewarnt, daß wir bis
in die Zeit vor der Reformation zurückgehen müssen.
    Der Leser weiß gewißlich, daß zwar jeder, der in den Highlands
großgeworden ist, seinem Clan zugehört, mit seinem eigenen Oberhaupt, das
wiederum, Zweig um Zweig, vom Clanshäuptling abstammt, es jedoch in den
Lowlands nichts Vergleichbares gibt, sondern daß die Einheit, die dort zählt,
von jeher die Familie war. Und so groß und weitläufig eine Familie auch sein
mochte, hielt sie doch selten so eng zusammen wie ein Clan, und was in den
Lowlands Familien einte, was diese mit jener verband, das hing vom Geschick der
Landbesitzer ab. Wo die Gutsherren sich mit Brief und Siegel Zusammenhalt
schworen, da war die ganze Gegend sicher und stark.
    Nun waren die Guthries auf Erchany ja nur minderer Landadel, doch
die Lindsays auf Mervie, das war eine bedeutende Familie, Barone, die ihr Lehen
direkt von der Krone hatten, und ihre Ländereien reichten zwischen Moray und
Spey bis an den Besitz der Innes heran, jener grobschlächtigen Flamen. Und in
den Jugendjahren Jakobs III., als Schottland ein gesetz- und gottloses Land
war, schlossen die Guthries mit den Lindsays einen Bund. Das Dokument hat sich
erhalten, in dem ein Ranald Guthrie einem Andrew Lindsay schwor, »für ihn
einzutreten und mit ihm und den Seinen zu sein, seiner Familie, seinen Freunden,
seiner Streitmacht, in Rat, Hilfe, Treue, in Gütern und Männern, so es nicht
Gewissen und Vernunft widersprechen mag, in aller Treu vereint mit ihm gegen jeden
lebendigen Menschen außer unseren alleinigen Herrscher den König.« Ob die
Lindsays, wohlhabend wie sie waren, mit Gold lockten oder ob sie allein ihre
Macht spielen ließen – Treue wurde geschworen, und es war ein unverletzlicher
Schwur für die fünf Jahre, die er gelten sollte. Der Satz über den König war
allerdings nur eine leere Formel: bei solchen Treueschwüren stand der Gedanke,
die Kräfte gegen die Krone zu vereinen, stets im Hintergrund.
    Und gegen die Krone ging es schon bald. Denn einen ebensolchen
Treueeid hatten die Lindsays dem Grafen von Huntly geleistet, und es kam der
Tag, an welchem der Graf an Andrew Lindsay schrieb, daß sein Vetter, der
Gutsherr auf Gight, vor das Gericht in Edinburgh geladen sei; um dessen Leben
zu schützen, müsse Lindsay mit seinen Männern sogleich nach St.   Johnston
aufbrechen, von wo er mit dem Grafen nach Edinburgh reiten werde. Also rief
Lindsay Ranald Guthrie und seine Männer nach Mervie, und Lindsays und Guthries
ritten gemeinsam nach St.   Johnston – das heißt nach Perth –, von wo sie mit dem
Trupp des Grafen nach Edinburgh zogen, um dort zugunsten des Gutsherrn von
Gight die Richter des Königs einzuschüchtern. Nur daß Andrew Lindsay, der
wichtige Geschäfte vorschützte, einen Tag lang zurückblieb, und an diesem Tage
preschte er zu Pferde hinüber nach Erchany und lag Ranald Guthries Frau bei.
    Ein Jahr und einen Tag lang blieb Ranald Guthrie still; dann
sammelte er an Männern um sich, was er konnte, und unternahm einen Ausfall nach
Mervie, und dort griffen sie sich Andrew Lindsay, überraschten ihn inmitten
seiner eigenen Leute, und führten ihn mit sich fort. Die Guthries brachten
Lindsay auf ihr eigenes Land, und dort hackten sie ihm die lüsternen Finger ab,
und als sie ihn zurückschickten, hingen sie ihm ein Stundenglas um den Hals,
damit die Lindsays wußten, daß sie nur Jahr und Tag gewartet hatten, bis die
Frist des

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