Klagelied auf einen Dichter
Treueschwurs abgelaufen war, so daß keiner den Guthries vorwerfen
konnte, sie hätten ihr Wort gebrochen. Und Andrew Lindsay starb.
Das war der Anfang der Erbfehde zwischen den Lindsays und den
Guthries, und es wäre eine lange und häßliche Geschichte, wenn ich alles
erzählen wollte, was sie sich im Laufe der Jahrhunderte gegenseitig antaten.
Doch als Generation um Generation ins Land ging, wurden die Guthries mächtiger
und die Lindsays verloren an Einfluß, und im 17. Jahrhundert, in der Zeit
der religiösen Verfolgungen, wurde ihre Macht ganz und gar gebrochen, und die
vornehmen Lindsays in Schottland kannten keine Lindsays auf Mervie mehr, und
die Bürger von Dunwinnie kamen und brachen die Steine aus dem Turm von Mervie;
die Straße New Wynd und das halbe Cowgate sind aus den Ruinen gebaut. Und die
Guthries, die nichts vergaßen und nichts verziehen, die lachten leise, wenn sie
im Tal von Mervie auf die Jagd gingen.
Aber es gab in der Gegend noch Lindsays genug Pächter, die nichts
über ihre Familie wußten, und jeder von ihnen konnte sich für einen Nachfahren
des alten Adelsgeschlechtes halten, wenn ihm danach war. Und so lebte die alte
Feindschaft fort; für die Lindsays waren die Guthries der Abschaum des Adels,
und die Guthries kannten mit den Lindsays keine Gnade: stets schwelten Mißgunst
und Mißtrauen, und immer wieder gab es auf beiden Seiten einen Hitzkopf, bei
dem dies Gefühl zu Haß aufflammte und ihn zu einer Gewalttat hinriß. Für einen
Lindsay galt es als Schande, bei den Guthries von Erchany in Diensten zu
stehen, und daß der junge Neil Lindsay, bevor er Christine kennenlernte, Ranald
Guthrie mehr haßte als die meisten zuvor, lag daran, daß er sich für seinen
Vater schämte, der für Alison gearbeitet hatte, die Schwester des Gutsherrn.
Von Alison muß ich noch erzählen, denn sie war gewiß die merkwürdigste unter
allen Guthries: Tammas, erzählen die Lästermäuler, sei ihr Kind, und der Vater
gottweißwer.
Es hatte in Ranalds Generation vier Guthries gegeben. John, der
älteste, mußte erleben, wie seine zwei prachtvollen Söhne vor seinen Augen im
Loch Cailie ertranken, und lebte, ein gebrochener Mann, auf dem Besitz, bis
Ranald ihn von ihm erbte. Ian, der zweite Sohn, und Ranald, der dritte, waren
lieber zu den Wilden in Australien gegangen, als für den geistlichen Stand zu
studieren; die reine Torheit, fanden die Leute zu Hause, und gottlos dazu, und
so waren nur die wenigsten in Kinkeig überrascht und noch weniger erschüttert,
als die Nachricht von Ians grausigem Tod kam, von den Wilden im Busch
umgebracht und in ihren großen Kochtöpfen gekocht. Alison, die Tochter, war
zwanzig Jahre jünger als Ranald, das Kind der alten Tage ihres Vaters, als auch
die Mutter über das fruchtbare Alter eigentlich schon hinaus war. Sie war eine
echte Guthrie, finster und besessen, und ihre Leidenschaft galt allem, was
fliegen konnte. Geradezu unheimlich war es, wie die Vögel sich um sie scharten:
sie umflogen sie, wo immer sie ging, und nachts träumte sie von ihnen; sie
bereiste ganz Schottland und sammelte, was die Leute über die Vögel wußten, und
lebte ganz in ihrer Gesellschaft; sie verfaßte ein Buch über Vögel, und schließlich
lebte sie in einer einsamen Hütte in den Highlands, kaum mehr als ein Stall,
innen und außen weiß vor Vogeldreck, und am Ende ihrer Tage, erzählen die
Leute, konnte sie die Sprache der Vögel verstehen; bei manchen hieß es, sie
hätten ihr von himmlischen Dingen erzählt, bei anderen, die Vögel sprächen von
nichts als der Hölle. Und ein gewisser Wat Lindsay, Neil Lindsays Vater, hatte
ebenfalls ein Geschick im Umgang mit den Vögeln, und da seine Brüder ihren
kleinen Hof gut ohne ihn bewirtschaften konnten, begrub er die alte Fehde und
trat für eine Weile in Alisons Dienste, und er war es auch, der über den
Loch-an-Eilan schwamm und das letzte Nest eines Fischadlers für sie
fotografierte, das man für viele Jahre in Schottland sehen sollte. Und das war
Alison, die unvermählt in ihrer Kate starb, noch bevor sie in die, wie man
sagt, mittleren Jahre kam, und das war der Grund, warum der junge Neil dem
Gutsherrn mit solcher Wut und solchem Haß begegnete: er schämte sich, daß sein
inzwischen gestorbener Vater einmal der Diener einer Guthrie gewesen war.
Ich wußte nicht viel von Neil Lindsay, bevor Christine zu mir kam,
denn er lebte mit seinen Brüdern auf einem Hof weit oben im Tal von Mervie, da
wo einst der Turm jener Lindsays
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