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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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nichts erklären und nichts offenbaren wolle, das
wisse ich nicht. Sie könne ihren Neil nach Dunwinnie zu Anwalt Stewart schicken,
wenn sie das wolle, aber der Rat eines alten Mannes sei, lieber ein wenig zu
warten: wenn der Gutsherr sich erst einmal daran gewöhne, wie die Dinge sich nun
einmal ergeben hätten, dann werde er einsehen, daß es für die Guthries wie
für die Lindsays Vernünftigeres gab, als Montagues und Capulets zu spielen. Und
es wäre gut, fügte ich noch hinzu, wenn sie das auch ihrem Neil einmal vor
Augen führte; schließlich könne ein Pächtersbursche mit nichts als ein paar
vagen Aussichten in Kanada, wenn er auf die Idee kam, um das Mündel eines reichen
Gutsherrn zu werben, nichts anderes erwarten als daß er zunächst einmal eine Abfuhr
erhielte, bevor er vielleicht schließlich doch noch bekomme, was er wolle.
    Doch Christine schüttelte den Kopf. »In Wirklichkeit ist es ganz
anders.« Und sie nahm sich ein Stückchen Leder und zeichnete die Falten darauf
mit dem Finger nach, so als wolle sie die Furchen abmalen, in die ihre hübsche
Stirn sich gelegt hatte. »Hast du meinen Onkel in letzter Zeit gesehen?« fragte
sie.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn bestimmt schon ein Jahr lang
nicht mehr gesehen, meine Liebe.«
    »Aber du hast gehört, was die Leute reden?«
    »Mein Gehör habe ich noch nicht verloren, Christine.«
    Sie lächelte. »Ja, in Kinkeig wird immer geredet, das weiß ich.« Sie
zögerte. »Aber jetzt heißt es vielleicht, daß er – daß er den Verstand verloren
hat?«
    Sie sah so bekümmert aus, daß ich meine Leisten fortlegte und sie
umarmte – etwas, das ich schon seit vielen Jahren nicht mehr getan hatte. »Nimm
dir das nicht zu Herzen«, sagte ich; »das haben sie schon über ihn gesagt, als
du noch gar nicht auf der Welt warst. Das würde Kinkeig von jedem Gutsherrn
sagen, der etwas anderes als die Rebhuhnjagd und seine Kornfelder im Kopf hat
und nicht sonntags in der Kirche fromm tut. Und den Guthries sagen sie es nach
seit König Malcolms Zeiten.«
    Sie lachte leise, und ich glaubte schon, ich hätte sie getröstet.
Doch dann hörten die alten Ohren die Bitterkeit in diesem Lachen. Ich ging zum
Fenster und blickte nun ebenfalls hinaus.
    Hinter mir sagte Christine mit einem harten Ton, den ich nie zuvor
bei ihr gehört hatte: »Er ist irrsinnig.«

X.
    Christine hatte immer zu dem Gutsherrn gestanden, und es lag in ihrer
Natur, daß sie diese Loyalität auch in der größten Bedrängnis aufrechterhalten,
ja wohl sogar für ihn gekämpft hätte. Deshalb verblüffte es mich, was sie da über
Guthrie sagte – und auch die paradoxe Art, mit der sie ihr Urteil belegte. Denn
was für sie der Beweis war, daß es um seinen Verstand geschehen war, das war, daß
er neuerdings sein Geld ausgab wie ein ganz normaler Mensch. »Er tut sich Gewalt
damit an«, sagte Christine.
    Nur jemand, ging mir durch den Kopf, der lange auf Erchany gelebt
hatte, konnte wirklich verstehen, was das bedeutete. Das erste Mal, daß es ihr
auffiel, war, als er die Gamleys fortjagte: Gamley hatte einen Vertrag mit dem
Gutsherrn, der jährlich oder vierteljährlich galt, und damit er den Hof sofort
verließ, hatte er ihm eine Handvoll Gold gezahlt – echtes Gold; Christine hatte
gesehen, wie er es aus seinem Schreibtisch nahm, und das war das einzige
Bargeld, das man auf Erchany für Notfälle hatte. Es war seltsam gewesen, daß er
sich davon trennte, sagte Christine, denn an den Münzen hing ihres Onkels
ganzes Herz.
    Ich machte große Augen. Natürlich wußte ich, was für ein Geizhals
Guthrie war, wie er in den Taschen der Vogelscheuchen wühlte und all das, doch
daß er tatsächlich ein Knauser war, wie man ihn in einem Roman finden mochte,
das hätte ich nicht gedacht. »Heißt das«, rief ich, »er sitzt tatsächlich da
und läßt sich die Münzen durch die Finger rinnen?«
    »Das tut er. Numismatik nennt er das, und er hat mir sogar manches
davon beigebracht. Hast du jemals eine spanische Golddublone aus der Zeit
Philips V. gesehen, Onkel Ewan, oder einen Genueser von dreiundzwanzig Karat,
einen Jakobstaler oder die Goldmünzen aus dem Reich des Großmoguls? Ich glaube,
wenn ich solche Münzen hätte, ich würde sie ebenso eifersüchtig hüten wie er.
Aber mein Onkel häuft auch gern die Guineen und Sovereigns zu kleinen Türmchen
auf, und das muß das Geld sein, mit dem er Gamley ausbezahlt hat. Zeigt das
nicht, wie es um ihn steht?«
    Das zeigte für meine Begriffe nur, wieviel

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