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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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verblüffte, denn auch wenn sie natürlich von der alten,
dummen Feindschaft zwischen den Lindsays und den Guthries wußte, hätte sie doch
nie für möglich gehalten, daß jemand in ihrer Generation etwas so Böses, Altes,
Dummes noch ernst nehmen könnte. Doch das Blut war dem Jungen ins Gesicht
geschossen, als sie ihm sagte, wer sie war, und gleich darauf war er, so
sonnengebräunt sein Antlitz auch war, bleich geworden, dann stieß er einen
Fluch aus, daß sie zusammenfuhr, und dann umarmte er sie.
    Von dem Augenblick an war es um Christine geschehen. Denn so
unberechenbar die Stimmungen auch waren, wenn sie sich von nun an, immer im
verborgenen, trafen, und auch wenn sie es sich am einen Tag eingestand und am
nächsten nicht wahrhaben wollte, wußte sie doch, daß sie sein war für immer.
Und auch Neil, so innerlich zerrissen er auch sein mochte, stand fest wie der
gewaltige Fels, in dessen Schatten sie sich zum ersten Mal begegnet waren; sie
würde seine Frau werden, und dann würden sie gemeinsam nach Kanada gehen, wo er
einen Vetter hatte, einen gelehrten Mann sogar, der ihm helfen würde, die Art
von Arbeit zu finden, nach der er sich sehnte.
    Das war also die Geschichte, die mir Christine schließlich erzählte,
und daß sie erst nach endlosem Zögern und einer Reihe von Ansätzen herauskam, das
lag gewiß nicht nur an der natürlichen Schüchternheit des Mädchens. Es lag auch
daran, unter welcher Belastung sie auf Erchany leben mußte; die Art, wie der Gutsherr
sich betrug, hatte ihre Nerven angegriffen, und sie konnte gar nicht mehr glauben,
daß es irgendwo auf der Welt jemanden gab, dem sie trauen konnte, jedenfalls niemanden
außer Neil. Guthrie versuchte mit allen Mitteln, sie und den Jungen auseinanderzubringen;
seit jenem Tag, an dem er ihm auf dem Bauernhof begegnet war, war er wie ein Dämon,
still, doch mit einer Wut oder sonst einer Leidenschaft, die tief in ihm brannte.
Und ebensowenig gab Neil Ruhe; er war ebenso in Haß gegen Guthrie entbrannt und
schürte diesen Haß mit all den alten Geschichten über das Unrecht, das den Lindsays
widerfahren sei, und dafür hatte Christine wenig Verständnis. Es war ein Hochland-Temperament,
das da in den Monaten des Wartens und finsteren Brütens zum Vorschein gekommen
war, ein Temperament, das er von seiner Mutter ererbt hatte; Christine sah mit Sorge,
wie es bei ihm immer mehr die Oberhand gewann, und nach dem Zwischenfall auf dem
Bauernhof wußte sie, daß die Zeit gekommen war zu handeln. Neil wollte Erchany stürmen
wie Sir Walters Lochinvar und sie an einen Ort entführen, an dem sie heimlich getraut
werden konnten; sein Erspartes würde gerade für die Überfahrt nach Kanada genügen,
doch dann bliebe kein Penny mehr. Christine widerstrebte es, heimlich zu verschwinden;
instinktiv war sie dagegen – sie spürte, daß Guthrie eine Macht über sie hatte,
die sie nur brechen konnte, wenn sie ihm offen gegenübertrat; aber sie wußte auch,
daß Neil es nur im richtigen Tonfall zu sagen brauchte, dann würde sie mit ihm fortgehen,
und daß es so zwischen ihnen beiden immer sein würde. Denn die Leidenschaft bei
alldem, das war das, was sie am meisten spürte. Als ich sie fragte – es war vielleicht
wirklich eine dumme Frage –: »Und du willst ihn wirklich heiraten, Christine?«,
da blickte sie mich beinahe spöttisch an und sagte einfach nur: »Ich bin
besessen.«
    Christines Entschluß stand also fest; das einzige, was mir noch
blieb, das war, zu helfen, so gut ich konnte. Und gleich als erstes fragte sie
mich: »Onkel Ewan, gibt es einen Rechtsanwalt in Dunwinnie?«
    Ich erklärte ihr, früher habe es dort den alten Mr.   Dunbar gegeben,
und nun habe ein junger Bursche namens Stewart dessen Kanzlei und Geschäfte
übernommen. Zwar wunderte ich mich ein wenig über diese Frage, doch fand ich es
unangemessen, mich zu erkundigen, was sie im Sinne habe; bald darauf sprang sie
von meiner Werkbank, auf deren Kante sie gesessen hatte, ging hinüber zu meinem
kleinen Schaufenster und blickte versonnen hinaus nach Kinkeig, wo nun von
neuem der Schnee seine Decke ausbreitete. »Es muß doch Papiere geben«, sagte
sie in aller Ruhe und ohne sich umzuwenden, »Dokumente«.
    Natürlich müsse es Papiere geben, erwiderte ich, wenn alles mit rechten
Dingen zugegangen sei, müsse es auch Papiere geben – doch ob sie als Guthries rechtmäßiges
Mündel und minderjährig, wie sie sei, ein Recht habe, sie einzusehen, wenn er bei
seiner Laune bleibe und ihr

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