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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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darüber nachdenkt. Im Tode war Guthrie wieder unschuldig geworden; dies
scharfe Antlitz mit den markanten Zügen, die von jahrhundertealter Familie
sprechen, war nun stärker und reiner geworden, als habe ein Künstler einen
Schwamm genommen und alles Niedere von ihm fortgewischt. Man liest davon, daß
der Tod solche Dinge tut; doch sie von Angesicht zu sehen, unter so
gewalttätigen Umständen, erschütterte mich tief. Ich richtete den Leichnam, so
gut ich konnte, wischte ihm den Schnee aus Gesicht und Haar, und wartete.
    Nicht lange, und Hardcastle kehrte mit einem Tuch zurück. Ob nun
zu Recht oder nicht, ich hatte mir in den Kopf gesetzt, daß in seinem
Verhalten gegenüber dem Toten etwas Ungehöriges war, und ganz instinktiv
verstellte ich ihm an der Tür den Weg. Er reichte mir mürrisch das Tuch
und starrte an mir vorbei den Leichnam an, genauso forschend wie zuvor. »Seien
Sie so freundlich«, schlug ich vor, »und sagen Sie Ihrer Frau, sie soll uns Tee
oder Kaffee machen. Ich glaube, eine Stärkung können wir alle brauchen.«
    Der Unhold schluckte schwer, als schlucke er hinunter, was er mir
darauf gern geantwortet hätte. Dann sagte er mit einer geradezu elefantösen
Verschlagenheit, bei der ich, wie schon zuvor, nicht wußte, was ich davon zu
halten hatte: »Mr.   Gylby, Sie werden nachgesehen haben, daß mit dem Leichnam
alles in Ordnung ist? Daß ihn niemand beraubt hat oder dergleichen?«
    »Darum wird die Polizei sich kümmern.«
    »Aber, Sir, wir könnten doch auch jetzt gleich nachsehen?«
    Meine Wut auf diesen Wurm wurde von Minute zu Minute größer. Ich
wandte ihm den Rücken zu und breitete ohne weiteres Zögern das Leichentuch über
Guthrie. »Als nächstes, Mr.   Hardcastle, müssen wir in Kinkeig Bescheid geben.
Es hat aufgehört zu schneien, und der Wind läßt nach. Sie müssen sehen, ob Ihr
Junge im Morgengrauen aufbrechen kann.« Mit diesen Worten schob ich den
Aufseher aus dem Keller, verschloß die Tür und steckte auch diesen Schlüssel
ein. Glaube mir, Diana, etwas liegt hier in der Luft, das mich sicher sein
läßt, daß ich das Richtige getan habe, als ich mich so eigenmächtig zum Hüter
von Erchany aufschwang. Zum Glück fliegen, während ich dies niederschreibe, die
Minuten nur so dahin, und es kann nicht mehr lange dauern, bis die Vertreter
des Gesetzes eintreffen und ich mein Amt ehrenhaft in andere Hände legen kann.
In der Zwischenzeit gibt es allerdings noch den einen oder anderen Schrecken,
über den ich zu berichten habe.
    Nachdem ich die Kellertür verschlossen hatte, schlurfte Hardcastle
beleidigt davon, und ich blieb allein zurück und überlegte, was als nächstes zu
tun war. Nichts auf der Welt hätte mich dazu gebracht, mich an dem Toten zu
schaffen zu machen wie ein Polizeiarzt, aber Hardcastles Andeutung, die Leiche
könnte beraubt worden sein, hatte mir doch eine Idee eingegeben. Es hatte ja
eine Weile gedauert, bis ich das Turmzimmer versperrt hatte und mit meinem
kleinen Trupp unten am Graben angelangt war; dort angekommen, fanden wir den
geheimnisvollen Gamley neben dem Leichnam knien. Wer der Mann war, würde sich
schon noch herausstellen, aber mochte es nicht Spuren im Schnee geben – die
bald verschwunden sein würden und die man am besten sofort erkundete –, aus denen
sich ablesen ließ, wie er dorthin gelangt war? Ich nahm die Laterne, die
Hardcastle stehengelassen hatte, und begab mich, bevor ich nach oben ging, noch
einmal hinaus zum Graben.
    Der Wind, der oben auf den Zinnen so rasch alle klaren Spuren
verwischt hatte, hatte in dieser tiefen Rinne keine Kraft; jedes Zeichen, das
zurückgeblieben war, seit der große Schneefall vorüber war, war deutlich genug
zu erkennen. Als ich mich umsah, kam mir noch einmal zu Bewußtsein, wie
abgelegen Erchany war; überall hatten die wilden Tiere ihre Spuren
hinterlassen, die vor dem Schneesturm dort Zuflucht gesucht hatten: die tiefen
Schritte eines Fuchses, die langen Sprünge von Wieseln, die zu winzigen Schneewehen
aufgewirbelten Zickzackspuren der Kaninchen, eine davon gekreuzt von den
Schritten eines Fasans, der schnurgerade auf ein unbekanntes Ziel zusteuerte – und einmal ein kleiner Blutfleck mit einem Rest Fell. Der Mond tauchte hinter
den Wolken auf und verschwand wieder mit der Regelmäßigkeit einer Neonreklame,
und wie Wellen lief das Licht über diese Muster in dem großen Teppich aus
Schnee; man hätte innehalten und es einfach nur ansehen sollen, so schön war
es; ich mußte meine so

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