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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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vor sich
hinsang und sich wie im Takt dazu wiegte. Und grotesk, wie Tammas, aufgewühlt
von ihrem Singsang, sein eigenes Lied zu murmeln begann:
    Der Rabe holt’ das Kätzchen-oh,
    Der Rabe holt’ das Kätzchen-oh …
    Es war ein furchterregender Gesang. Aber ich hatte in den
letzten anderthalb Tagen soviel Furchterregendes erlebt, daß ich nun nur
kräftig an eine Schranktür klopfte wie ein Richter, der einen Tumult im
Gerichtssaal beendet. Tammas senkte die Stimme sogleich, daß nur noch ein
Flüstern zu hören war, und Mrs.   Hardcastle hatte, nachdem ein Exkurs über
Ratten schon das Schlimmste befürchten ließ, doch noch einige lichte
Augenblicke. Ich fasse wohl besser zusammen, was ich binnen der nächsten
Viertelstunde über die Umstände erfahren konnte.
    Neil Lindsay, der junge Mann, der in jenem dramatischen Augenblick
auf dem Treppenabsatz an uns vorüberstürmte, ist, wie ich schon vermutet hatte,
Christines Verehrer – und jemand, dessen Werben Guthrie durch und durch
unerwünscht war. Er ist ein Bauernjunge – Pächter auf einem winzigen Hof – aus
einem benachbarten Tal; und zu diesem gesellschaftlichen Manko kommt, wenn man
den Hardcastles glauben darf, noch dazu, daß zwischen den beiden Familien eine
Art Erbfehde besteht – solch pittoreske Absurditäten gibt es offenbar
hierzulande auch heute noch. Die Lage war schon seit längerem angespannt, und
in letzter Zeit war Lindsay verdächtig oft spätabends auf die Burg gekommen.
Über die näheren Umstände hatten Guthrie und Christine sich ausgeschwiegen, und
so tappen die Hardcastles hier ein wenig im Dunkeln. Aber Hardcastle glaubt,
daß Guthrie beschlossen hatte, sich von Lindsay freizukaufen, und ihm deswegen
aufgetragen hatte, den jungen Mann zu ihm hinauf in den Turm zu lassen, wenn er
das nächste Mal kam.
    Lindsay erschien kurz vor halb zwölf, Hardcastle ließ ihn ein und
schickte ihn nach oben. Kurz vor Mitternacht läutete Guthrie – beide
Hardcastles waren offenbar auch so etwas wie Kammerdiener –, und als Hardcastle
die Treppe erklomm, rief er ihm den Auftrag hinunter, mich zum Schlummertrunk
zu bitten – was dann zu meinem Erscheinen am Ort des Geschehens führte.
    Das war der Punkt, an dem ich sie wirklich unterbrechen mußte. »Aber
Mr.   Hardcastle, wieso sollte ich denn feiern, daß der
Gutsherr den jungen Lindsay losgeworden war? War das denn nicht seine
Privatsache?«
    »Mit Verlaub, Mr.   Gylby, ich denke mir, der Junge wäre bis dahin
wieder fort gewesen, und ein Gläschen mit einem Fremden wäre für den Herrn eine
schöne Art gewesen, auf andere Gedanken zu kommen.«
    Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich kein Wort von dieser
Geschichte glaubte. Allerdings mußte ich mir dabei auch immer zu bedenken
geben, daß Hardcastle das Einmaleins hätte aufsagen können, und ich wäre auf
der Stelle mißtrauisch geworden. Und er war abstoßender denn je: in seine
mürrische Art war nun auch noch ein unterwürfiger Ton gekommen, und ich spürte,
daß ihm ganz und gar nicht wohl in seiner Haut war. Einen Teil der Geschichte
hatte ich mir von seiner Frau erzählen lassen, und ich glaube, er zitterte vor
Angst, daß sie etwas Falsches sagte – die falsche Katze aus dem Sack ließ.
Vielleicht fürchtete er sich auch nur einfach vor mir. Oder vor Sybil.
    Eines jedenfalls steht fest. Lindsay und Christine – es sei denn,
sie schmachten in einem verborgenen Verlies in den Tiefen der Burg – sind fort,
ob nun gemeinsam oder allein. Mrs.   Hardcastle, bei der ich mittlerweile doch
den Eindruck habe, daß sie eine aufrechte Seele ist, sagt, sie habe gesehen,
wie Christine mit einem Koffer in der Hand den Gang vom Schulzimmer
herunterlief, und als wir uns mit der Laterne vor der Vordertür umsahen, fanden
wir zwei schon halb verwehte Spuren fort ins Dunkel. Die beiden sind
tatsächlich auf und davon; eine merkwürdige Zeit haben sie sich dafür
ausgesucht, und ein mühsamer Weg muß es sein. Nachdem er an uns vorübergestürmt
war, lief Lindsay offenbar schnurstracks zu Christine, und schon wenige
Augenblicke darauf waren sie aus dem Haus. Aber was war unmittelbar davor
geschehen? Was hatte sich im Turm zugetragen?
    Zumindest für letzteres hatten wir Sybil als Zeugin. Sie war – aus
unerfindlichen Gründen – in dem Raum gewesen, aus dem Guthrie zu Tode gestürzt
war. Doch bisher hatte sie kaum ein Wort gesprochen, und ich fand es ungehörig,
in Gegenwart der Hardcastles Fragen zu stellen, die wie ein Verhör

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