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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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Gespenst. Muß ich noch eigens eingestehen, daß allmählich
etwas von der Laune meines Neffen Aeneas über mich kam und daß der Seniorpartner
von Wedderburn, Wedderburn und McTodd, je mehr er hörte, desto mehr spürte, wie
sein Puls um einiges schneller schlug, als sonst bei ihm üblich war? Ich habe
schon immer eine merkwürdige Vorliebe für Kriminalromane gehabt – ein Genre,
dessen Geschichten mit der tatsächlichen Welt des Verbrechens etwa soviel
Ähnlichkeit haben wie Schäfergedichte mit dem wahren Landleben –, und nun, als
ich lauschte, was die wackere Mrs.   Roberts zu erzählen hatte, da kam es mir
vor, als habe es mich aus der wahren Welt in die Welt der Märchen und Träume
verschlagen. Daß Mr.   Guthrie umgekommen war, war eine Tatsache, doch diese
Tatsache war von einem solchen Gespinst fantastischer Erzählungen umgeben, daß
man meinen konnte, ein launiger und leichtfertiger Literat sei am Werke.
Vielleicht war es auch eher Folklore, womit ich hier zu tun hatte, mit deren
bizarrer Art, die Dinge auszuschmücken. Was ich von Mrs.   Roberts zu hören
bekam, waren Gerüchte, mit anderen Worten es war die mythenschaffende Kraft des
einfachen Volkes. Rache, Mord, Verstümmelung und ein Gespenst – vielleicht war
es nur die neueste jener romantischen Guthrie-Legenden, mit denen Clanclacket
mich am Nachmittag unterhalten hatte.
    RACHE
UND MORD.  Ein gewisser Neil Lindsay, ein junger Mann von
verschrobenen Ansichten und grausamem Herzen, hatte es sich, so heißt es, in
den Kopf gesetzt, eine jahrhundertealte Familienfehde mit den Guthries
wiederaufleben zu lassen und um eine weitere Schandtat zu bereichern. Dies tat
er, indem er Ranald Guthrie in der Weihnacht von einem hohen Turm der Burg
schleuderte, eine große Summe Goldes stahl und sich mit einer jungen Frau
davonmachte, die teils als Mündel seines Widersachers bezeichnet wird, teils
als Nichte, teils als Tochter und teils als Geliebte.
    VERSTÜMMELUNG
UND EIN GESPENST.  Doch selbst mit diesen Greueltaten gab sich der
junge Lindsay, so hört man, nicht zufrieden; auf der Flucht hielt er noch inne
und schändete Guthries Leiche aufs Grausigste, indem er ihr eine Reihe von
Fingern abhackte, als Rache für eine blutige Tat, die vor fünfhundert Jahren
die beiden Familien entzweit hatte. Doch diese grausame und unmenschliche Rache
Lindsays schrie nun wiederum ihrerseits nach Vergeltung; um Mitternacht des
Weihnachtstages war Guthries Geist in Kinkeig umgegangen, hatte seine verstümmelten
Hände zum Mond erhoben und Entsetzliches aus jener Hölle verkündet, aus der er
nur für wenige Stunden entlassen war, um auf Erden zu wandeln.
    Ich habe hier Mrs.   Roberts’ Bericht in wenigen Sätzen
zusammengefaßt; was sie erzählte, war in Wirklichkeit um ein vielfaches
wortreicher. Doch ihre Schauermärchen, die immer weiter ihre Kreise zogen,
schlugen mich, wie gesagt, merkwürdig in den Bann; die Elemente dieser
Geschichte paßten so kunstvoll zusammen und alles war so durch und durch
schlüssig, daß ich mich immer wieder ermahnen mußte, sie kritisch zu betrachten
und zum Beispiel zu vermerken, mit welcher Geschwindigkeit in solchen Legenden
die übernatürlichen Elemente Eingang finden. Bescheidener Folklorist, der ich
bin, hakte ich, was die Reaktion Kinkeigs auf den Tod seines Gutsherrn anging,
bei diesem Aspekt noch einmal nach. »Mrs.   Roberts«, fragte ich, »haben viele
das Gespenst gesehen?«
    »Oh ja.«
    »Sie selbst ebenfalls?«
    »Oh nein!« Schon die Vorstellung jagte Mrs.   Roberts offenbar einen
gewaltigen Schrecken ein.
    »Und wer hat es gesehen?«
    Mrs.   Roberts dachte nach. »Die erste wäre Mistress McLaren gewesen, die
Frau unseres Dorfschmieds. Die Pumpe in ihrem Hof war zugefroren, und sie wollte
Wasser von dem Brunnen an der Straße holen, und da sah sie das gräßliche Ding direkt
vor sich im Mondschein. Sie hat einen Schrei getan, die arme Frau, daß man es in
halb Kinkeig hören konnte. Einen besseren Beweis könnten Sie doch gar nicht haben.«
Mrs.   Roberts hatte offenbar einen skeptischen Unterton in meinen Fragen entdeckt
und präsentierte den Schrei, mit dem Mrs.   McLarens Begegnung mit dem Geist
ihren Höhepunkt erfuhr, mit einer Geste des Triumphes.
    »Da haben Sie recht, Mrs.   Roberts. Und was geschah dann?«
    »Mistress McLaren war gerade vor dem Laden von Ewan Bell, dem
Schuhmacher. Sie lief zu ihm hinein, ganz aufgelöst vor Angst, und er brachte
sie nach Hause.«
    »Und Mr.   Bell, hat der das

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