Klagelied auf einen Dichter
unter
Umständen weiterreisen müßte, die weitaus mühsamer zu werden versprachen, als
einem Mann von meinen Jahren angemessen war, als ein neuer, noch größerer
Aufruhr im Dorf von der Ankunft der versprochenen Schneepflüge kündete. Zwei
moderne, kraftvolle Motorfahrzeuge zogen mit einem gedämpften Dröhnen an uns
vorüber und verschwanden die Straße hinauf in Richtung Erchany. Ich hatte
meinen Mietwagen samt Fahrer über Nacht behalten; nun brauchten wir nur noch
einzusteigen und konnten in aller Ruhe den Pflügen folgen. Als ich hörte, daß
der Leichnam am Nachmittag ins Dorf gebracht werden sollte und daß die
gerichtliche Untersuchung unmittelbar vor dem Begräbnis im Pfarrhaus anberaumt
war, fand ich es ratsam, ohne weitere Verzögerung die Fahrt zur Burg
anzutreten. Ich mußte sehen, was mich an Instruktionen erwartete, und mußte mir
von allem einen Eindruck verschaffen, damit ich wußte, wie ich mich am
Nachmittag zu verhalten hatte. Gylby, der mir vorkam wie ein Leuchtturmwärter,
der trotz schwerem Wetter erfolgreich seine Wache übergeben hat, schien eher
geneigt, noch ein wenig bei Haferkeksen und Marmelade zu verweilen; mit einiger
Überredung konnte ich ihn zum Aufbruch bewegen, und es fehlten nur noch wenige
Minuten bis halb zehn. Wir wollten eben das Gasthaus verlassen, als Mrs. Roberts erschien und – mit allen Anzeichen größten Interesses – fragte, ob ich
noch einen Besucher empfangen könne, und zwar Ewan Bell, den Mann, zu dem
Mistress McLaren sich in der Spuknacht geflüchtet hatte. Da konnte ich kaum
nein sagen; Gylby war so freundlich, sich zu einem Spaziergang ins Dorf zu
verabschieden, wo er Tabak kaufen wollte, und der Besucher wurde sogleich in
mein Wohnzimmer geführt.
Mr. Bell wird es nicht falsch verstehen, wenn ich sage, daß er eine
imposante Erscheinung ist. Ein Athlet, der auf seine alten Tage zum biblischen
Patriarchen geworden ist – das gibt dem Leser einen gewissen Begriff des
Mannes, der nun bei mir eintrat: den breiten Schultern nach hätte man ihn eher
für einen Schmied als für einen Schuster halten können; seine Züge hatten die
gütige Strenge eines Kirchenältesten, so wie der Stift eines Wilkie ihn
porträtiert hätte. Er verneigte sich stoisch und erkundigte sich dann, ob er
recht gehört habe, daß ich bei der Untersuchung der traurigen Ereignisse im
Herrenhaus die Interessen der Familie vertreten werde?
»Ich komme als Rechtsbeistand für Miss Guthrie, Mr. Bell. Das ist
die junge Amerikanerin, die, wie Sie vielleicht schon gehört haben, durch
Zufall auf der Burg zu Gast war, als Mr. Guthrie umkam.«
»Und gewiß ist sie eine Verwandte des Gutsherrn, Sir?«
Ich betrachtete Mr. Bell aufmerksam. Er schien mir ein durchaus
verantwortungsvoller Mann, der kaum aus bloßer Neugierde gekommen war. »Miss
Guthrie ist eine Verwandte des Verstorbenen und hat Ansprüche auf den Besitz.«
Wiederum nickte Ewan Bell mit ernster Miene. »Was mich zu Ihnen
führt, Mr. Wedderburn, das sind die beiden jungen Leute, die fortgelaufen sind – Miss Mathers und der junge Lindsay. Wenn die Leute anfangen zu reden, daß es
womöglich kein Unfall war, was auf Erchany geschehen ist, dann sicher deswegen,
weil die beiden so heimlich verschwunden sind.«
»Diese Flucht wird gewiß vielen zu denken geben.«
Mein Besucher erwog meine vorsichtige Antwort sorgfältig. Dann sagte
er: »Sie müssen wissen, daß der Gutsherr es so verlangt hatte.«
»Darüber müssen Sie mir mehr erzählen, Mr. Bell. Darf ich Sie zu
einem Glas einladen, etwas, das uns aufwärmt bei diesem garstigen Wetter?«
Mit einer Miene, die für jeden Betrachter die strikteste Ablehnung
bedeutet hätte, nahm Mr. Bell die Einladung an. Mrs. Roberts brachte uns
sogleich das Gewünschte – ich fürchte, es bestätigte ihr nur noch den
schlechten Eindruck von der Juristerei, den sie hatte, seit der Sheriff so
großzügig dem Rotwein zugesprochen hatte –, Mr. Bell prostete mir mit einer
knappen Geste zu, und dann zog er den Brief von Christine Mathers hervor, der
schon weiter vorn zu lesen stand. Ich las ihn einmal und dann noch ein zweites
Mal mit größter Aufmerksamkeit, bevor ich etwas sagte. »Mr. Bell, das ist ein
hochwichtiges Dokument. Sie haben es gewiß der Polizei schon vorgelegt?«
»Ich dachte, Mr. Wedderburn, ich hole besser vorher den Rat eines
angesehenen Mannes ein, wie Sie einer sind.«
»Das war sehr umsichtig von Ihnen. Aber Sie müssen ihn vor
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