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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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geführt hatte. Er war so freundlich,
mir die Blätter zu überlassen, und ich las sie sogleich. Ich will hier lediglich
zusammenfassen, welchen Gang die Ereignisse seit seinem letzten Eintrag
genommen haben.
    Der Stallbursche von Erchany hatte Kinkeig, wie Gylby es vorausgesagt
hatte, am Weihnachtsmorgen kurz nach Sonnenaufgang erreicht. Er war so erschöpft
gewesen, daß es eine ganze Weile dauerte, bis man einen halbwegs zusammenhängenden
Bericht aus ihm herausbekam, und es war schon zwischen neun und zehn Uhr, bevor
erste Schritte unternommen wurden. Ein Freiwilliger mußte gefunden werden, der sich
nach Dunwinnie durchschlug und den Arzt verständigte, denn die Telefonleitungen
waren in der Nacht gerissen. Weitere Verzögerung war zu erwarten, denn die praktikabelste
Route nach Erchany führte für Dr.   Noble über den zugefrorenen Loch Cailie, und es
würde wahrscheinlich Stunden dauern, bis ein Fahrzeug für ihn bereit war. Auch bis
Entsatz für Castle Erchany kam, dauerte es eine Weile. Der Dorfpolizist von Kinkeig
hatte – was ja nur zu verständlich war – seine Zweifel, ob er ohne Tammas die Orientierung
behalten würde, und so mußte man warten, bis dieser sich erholt hatte. Bald nach
dem Mittag setzten sich dann Tammas, der Polizist und zwei kräftige junge Männer
in Marsch – die Eskorte, darf man vermuten, hielt der Konstabler für angemessen,
weil er darauf gefaßt war, daß er ein veritables Spukschloß der schwarzen Magie
stürmen würde. Sie erreichten Erchany in Rekordzeit; kurz nach vier Uhr waren sie
dort. Der Beamte inspizierte Turm und Leiche, nahm Zeugenaussagen auf, forderte
Schlüssel ein und trank Tee – und bis das alles getan war, war es zu spät, noch
gefahrlos zurückzukehren. Einer der beiden Burschen bestand allerdings darauf zu
gehen – Gylby nahm an, daß er eine Verabredung mit seinem Mädchen hatte – und machte
sich schließlich allein auf den Weg, und er langte auch glücklich gegen neun Uhr
wieder in Kinkeig an und überbrachte den ersten Bericht des Dorfpolizisten. Inzwischen
war das Telefonkabel repariert, und die Polizeiwache in Dunwinnie erfuhr – offenbar
übermittelt von Mrs.   Johnstone, der Postmeisterin – alles, was zu diesem Zeitpunkt
an Informationen verfügbar war. Derweil war Dr.   Noble über den See auf der Burg
angekommen; wie der Konstabler und der zweite kräftige Bursche verbrachte auch
er die Nacht dort.
    Am Donnerstag, dem 26. Dezember – dem Tag, an dem ich ebenfalls
gen Norden gereist war – trafen die höheren Polizeibeamten und der Sheriff der
Grafschaft ein, letzterer ein Mann mit Abenteuergeist, den das Geheimnis
angelockt hatte, das dort so tief im Schnee verborgen lag. Er kam über Kinkeig,
machte sich zu Fuß mit seinem Schreiber auf, ließ den Schreiber auf halbem Wege
zurück, nahm, auf der Burg angekommen, alles zu Protokoll, verkündete, daß eine
gerichtliche Untersuchung unerläßlich sei, machte kehrt, fand den
unglücklichen Schreiber fast erfroren und trug ihn auf den Schultern zurück ins
Dorf. Dann verzehrte er ein Abendessen, dessen Ausmaße mir Roberts später noch
in leuchtenden Farben beschrieb, marterte Mrs.   Roberts damit, daß er anderthalb
Flaschen schlechten Bordeaux dazu trank, und ließ sich dann nach Dunwinnie
zurückchauffieren, wobei er noch versprach, er werde dafür sorgen, daß am
nächsten Tag Schneepflüge kämen. Wenn ich diese Begebenheiten hier anführe, so
nicht, weil sie unbedingt für meinen Bericht erforderlich wären, sondern
einfach nur, weil es Dinge sind, mit denen die Juristenzunft unserer nördlichen
Gefilde Ehre einlegen kann.
    Als nächstes erklärte Gylby sein eigenes Erscheinen an jenem Morgen.
Die Skier hatte er zwischen anderem Gerümpel in dem kleinen Schlafzimmer im
Turm gefunden, und da er von seinem Hinweg wußte, daß die Fahrt nach Kinkeig
größtenteils bergab gehen würde und die verschneiten Hänge nicht zu sehr mit
Bäumen bestanden waren, hatte er den Polizisten, der auf Erchany geblieben war,
zu der Erlaubnis überreden können, sie vom Ort des Geschehens zu entfernen. Die
Talfahrt war bestens geglückt und hatte ihm, wie er zufrieden hinzufügte, einen
enormen Appetit bereitet. Das einzige, was er bedauerte, war, daß kein zweites
Paar Skier für meine Mandantin vorhanden gewesen war, Miss Sybil Guthrie – die
als Erbin von Erchany die Ankunft ihres Rechtsbeistandes mit einiger Ungeduld
erwarte.
    Ich hatte mich schon beinahe damit abgefunden, daß ich

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