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Klammroth: Roman (German Edition)

Klammroth: Roman (German Edition)

Titel: Klammroth: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isa Grimm
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wurde, welche Macht Erik in diesem Moment über sie alle besaß. Später mochten sie einfach davongehen und ihn stehen lassen   – aber in den endlosen Sekunden, in denen sein Finger der Reihe nach auf jeden von ihnen zeigte und es ungewiss war, auf wem er innehalten würde, strahlte Erik etwas aus, das sie frösteln ließ.
    Nele trat einen Schritt nach vorn. Sie hatte noch immer die zusammengerollte Zeitschrift in der Hand. »Ich mach’s«, verkündete sie.
    »Auf keinen Fall«, sagte ihr Bruder.
    »Warum nicht?«
    »Du hältst dich da raus!«
    Allein die Vorstellung, die kleine Nele mit ihren blonden Zöpfen, ihrem Hasselhoff-T-Shirt und dem unschuldigen Lächeln könnte Teil von Eriks Sauerei werden, zog Anais den Magen zusammen.
    Sebastian sah aus, als würde er Erik eher totprügeln, als zuzusehen, wie seine kleine Schwester vor allen anderen in den Topf pinkelte.
    »Ich will’s aber machen«, sagte Nele. »Ich muss sowieso mal.«
    Einige flüsterten, aber die meisten hielten betroffen den Mund und warteten gespannt auf Sebastians Reaktion.
    Zu ihrer aller Überraschung war es ausgerechnet Erik, der ihm zu Hilfe kam. »Nein«, sagte er. »Das hier ist erst ab vierzehn.«
    Niemand atmete lauter auf als Ella. Sebastians Gesichtsausdruck wechselte von kaum verhohlener Erleichterung zu offener Feindseligkeit gegenüber seiner Freundin.
    Nele murmelte etwas, schien Eriks absurde Logik aber zu akzeptieren und trat zurück in die Reihe. Marion legte ihr einen Arm um die Schulter, als wollte sie das jüngere Mädchen trösten, doch in Wahrheit hielt sie Nele wohl einfach fest. Erst Tage später würde Anais bewusst werden, dass dies der erwachsenste und verantwortungsvollste Augenblick des ganzen Nachmittags gewesen war.
    »Scheiße«, sagte Sebastian. »Dann tu ich’s eben.«
    Ella wollte wieder nach seinem Arm greifen, aber diesmal traf sie ein so vernichtender Blick ihres Freundes, dass sie nicht mal zu atmen wagte. Exfreund, dachte Anais, und ihr Herz machte einen Hüpfer. Das war’s dann wohl.
    Sebastian setzte sich in Bewegung und tastete nach dem Reißverschluss seiner Jeans.
    »Warte«, sagte Erik.
    »Was?«
    »So geht das nicht.«
    »Was willst du noch?«
    »Nein, ich meine, das reicht nicht.«
    »Hey, Arschgesicht«, sagte Sebastian, »entweder machen wir es so oder gar nicht.«
    Erik blieb erstaunlich ruhig. »Ich meine nur, die Sache wird vorm Direktor landen, oder? Also sollte seine Tochter mitmachen.«
    Christina platzte vor Wut. »Du blöde Sau! Mach deinen Mist allein und lass Anais da raus!«
    Sebastian ging weiter, nahm die Hand vom Reißverschluss und ballte sie stattdessen zur Faust. Auf Eriks Gesicht erschien die Einsicht, dass er den Bogen überspannt hatte.
    Auch ein paar der anderen Jungen strafften sich. Einer schob sich die Ärmel hoch, als stünde ihm ein hartes Stück Arbeit bevor, und Tim grinste wieder. Ihm schien es gleich zu sein, welche Wendung das Ganze nahm; Hauptsache, er bekam sein Spektakel.
    »Hört auf!«, rief Anais.
    Ein paar Herzschläge lang herrschte Stille. Dann wandten sich ihr alle Gesichter zu.
    »Hör du auf!«, wisperte Christina ihr zu.
    »Nein«, sagte sie laut, »Erik hat recht. Ich würde das an seiner Stelle genauso machen. Wenn es hier jemanden gibt, der am ehesten Gelegenheit hätte, alles zu verraten, dann ich. Und trotzdem bin ich dafür, dass wir das durchziehen.« Sebastians Gangsterwort. Fühlte sich gut an, es zu benutzen.
    Erik neigte den Kopf ein wenig, seine Miene wandelte sich von Furcht zu Argwohn, schließlich zu Triumph. Alles innerhalb weniger Sekunden.
    »Du brauchst so was nicht zu tun«, sagte Sebastian zu ihr.
    »Ich weiß. Aber ich tu’s trotzdem.« Wieder sah sie das Gesicht ihres Vaters vor sich. Seine Fassungslosigkeit, seinen Zorn. Beides unglaublich intensive Gefühle, und davon hatte sie bei ihm während der letzten Jahre nicht viele erlebt. Sie waren es wert, das hier zu Ende zu bringen.
    Und noch etwas reizte sie. Es hatte mit Sebastian zu tun, aber auch mit allen anderen. Sie wollte es tatsächlich, und es kümmerte sie nicht, wenn alle dabei zusahen. Insgeheim wünschte sie sich so viele Zeugen wie möglich bei dieser Rebellion gegen ihren Vater.
    Sie löste sich aus der Reihe, streifte Christinas vorschnellende Hand ab und ging über die Lichtung auf den Kesselzu. Jetzt sah sie, dass er bereits auf einer Feuerstelle aus zerbrochenen Holzlatten stand.
    »Anais«, sagte Sebastian, als sie neben ihm kurz innehielt. Nicht weil ihr

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