Klammroth: Roman (German Edition)
recht sein, Hauptsache, er ließ die Finger von dem Weinbergflittchen mit dem Rubbeltattoo.
Der Junge, der jetzt fast bei ihnen war, sah nur Sebastian an. Er hieß Tim, ging in die A und hing manchmal auf dem Schulhof mit Sebastian rum. Aber weil der ihn sonst nie erwähnte, nahm sie an, dass sie keine echten Freunde waren. Von denen schien Sebastian ohnehin nicht viele zu haben; noch etwas, das sie einander ähnlich machte.
Tims Bruder war Sänger der Oberstufenband Männer mit Bier , die ihre Mission in der Rebellion gegen Klammroths Weinkultur sah. Eine kräftige Stimme lag in der Familie, Tims Rufe ließen alle Gespräche verstummen. Auch Marion und die anderen blickten ihm erwartungsvoll entgegen.
»Erik«, rief Tim, »er dreht völlig durch!« Ein verschlagenes Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus und schien seine Akne zum Glühen zu bringen.
Bei der Erwähnung dieses Namens verlor die Hälfte der Mädchen und Jungen schlagartig das Interesse, die anderen stöhnten auf.
»Nee, wirklich!« Tim blieb vor Sebastian stehen, als wollte er ihm Meldung erstatten. Dem wiederum war das sichtlich unangenehm, er trat einen Schritt zurück und stolperte fast über Ella.
Tims Stimme überschlug sich. »Er sitzt drüben hinter den Bäumen und kackt ! In einen Kochtopf !«
»Wow«, sagte Marion und verzog das Gesicht, »echt geil, Tim.«
»Tschüss, Tim«, sagte Christina.
»Grüß Erik von uns, Tim!«, sagte Ella.
Die Jungs aber schwiegen. Interesse flackerte in ihren Augen auf, auch in Sebastians. Einige Sekunden lang herrschte reglose Stille, nur Nele blätterte ungerührt zur nächsten Seite.
Der Neuankömmling sah erstmals die anderen an. Anais meinte, dass sein Blick einen Moment lang auf ihr verharrte, um dann hastig weiterzuwandern. »Ich weiß, Erik hat sie nicht alle. Aber, hey, er scheißt in einen Topf! Da liegt schon jede Menge Mist drin: eine tote Ratte, Vogeleier, all so ’n Zeug. Und er hat geschworen, dass er das Ganze kochen und danach über den Lehrereingang kippen will.«
»Das«, sagte Marion angeekelt, »ist wirklich so super.«
»Zum Kotzen«, sagte Ella.
»Kochen?«, wiederholte Sebastian. Es war nicht zu übersehen, dass ihn die Vorstellung faszinierte.
Anais blickte der Reihe nach die anderen Mädchen an, alle angemessen schockiert und angewidert, aber im Stillen dachte sie, dass sie gern das Gesicht ihres Vaters sehen würde, wenn er morgens als Erster zur Schule kam und EriksScheiße den Eingang bedeckte wie das Himmelfahrtfresko die Wand hinter Klammroths Kirchenaltar.
Nele legte die Zeitschrift beiseite und stand auf. »Können wir uns das angucken?«
Christina verdrehte die Augen, doch dann fiel ihr die Kinnlade runter, als Anais sagte: »Ja, ich finde auch, wir könnten mal hingehen.«
»Hast du ’n Rad ab?«, fragte Christina.
Sebastian schenkte Anais ein verschwörerisches Lächeln, das ihr durch Mark und Bein ging. »Wir haben gerade nix Besseres zu tun, oder?«
Ella knuffte ihn in den Rücken. »Heh!«
Er murmelte eine Entschuldigung, aber Anais fand, dass sie nicht besonders aufrichtig klang. Ella schien dafür mindestens einen Versöhnungskuss zu erwarten, doch den Gefallen tat er ihr nicht. Stattdessen nickte er Tim zu. »Ich komm mit.« In die Runde fragte er: »Sonst noch wer?«
Die übrigen Jungen sprangen auf, aber Anais war schneller. »Auf jeden Fall!«, sagte sie und strahlte ihn an.
Christina stöhnte übertrieben und gesellte sich dazu. Schließlich folgte ihnen auch der Rest, während Ella unablässig meckerte und Marion ihr recht gab, ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, das jüngere Mädchen zu ignorieren.
Tim führte sie in den Wald, der auf dieser Seite von Klammroth den ganzen Berghang bedeckte. Nach ein paar Minuten erreichten sie den Rand einer Lichtung, zu klein für Picknicks und zu nah am Ort für die Jäger, die sonst auf jeden freien Fleck einen Hochsitz stellten.
Erik schien sie zu erwarten, denn er zog demonstrativ die Hose hoch, als sie zwischen den Bäumen hervortraten. Sehr viel später sollte er es zu seinem Beruf machen, anderenMenschen den Hintern abzuwischen, aber in diesem Jahr galt sein Interesse noch ganz und gar seinem eigenen Geschäft. Mit zufriedenem Grinsen trat er hinter einen großen Metalltopf, der aus dem hohen Gras hervorschaute und ihm bis zu den Waden reichte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihnen entgegen.
»Bist du sicher, dass du das durchziehen willst?«, fragte Sebastian. Das
Weitere Kostenlose Bücher