Klammroth: Roman (German Edition)
lachte.
Mit einer altmodischen Geste bot er ihr seinen Arm an. Eingehakt stiegen sie die letzten Stufen zum Eingang hinauf. Die Tür war nur angelehnt, drinnen flackerte Kerzenschein. Der Gastraum war dunkel getäfelt, eine typische altdeutsche Weinstube, wie es sie früher entlang des Flusses zu Dutzenden gegeben hatte. Jetzt standen alle Stühle umgedreht auf den Tischen, das Regal hinter der Theke war mit Tüchern verhängt. An einer Wand hing, unvermeidlich, ein Bacchus-Gemälde, das den Gott des Weines inmitten verträumter Jungfrauen zeigte. Seine dunklen Augen blickten in Anais’ Richtung.
»Das hat deinen Eltern gehört, nicht wahr?«
Sebastian hatte manchmal in den Lokalen seiner Mutter kellnern müssen, mit einer albernen Schürze voller Reben und einem lateinischen Trinkspruch darauf.
»Dies hier und noch ein anderes Restaurant am Markt«, sagte er. »Da ist jetzt eine Reinigung drin.« Das Haus, in dem die Teusners oben am Bergmühlweg gewohnt hatten, war zugleich ein kleines Hotel gewesen. Nach dem Tunnelunglück hatte Sebastians Mutter es noch eine Weile bewirtschaftet, dann aber aufgegeben. Da waren die beiden Restaurants im Ort bereits geschlossen gewesen.
Durch eine Hintertür führte er sie auf einen kleinen Innenhof unter einem Glasdach. Die Wände waren mit ausladenden Weinranken bemalt. Es roch nach Feuchtigkeit, jedoch nicht so schlimm wie im Inneren.
In der Mitte des Hofes stand ein einzelner Tisch mit zwei Gedecken. Kerzen brannten auf einem silbernen Leuchter, eine Weinflasche war bereits entkorkt.
»Das ist wirklich lieb von dir«, sagte sie, als er sie zu ihrem Platz führte und galant den Stuhl nach hinten rückte.
»Wenn wir prominente Gäste haben, legen wir uns ganz besonders ins Zeug.«
In der nächsten Stunde bewirtete er sie mit Käse und Wein, die er am Nachmittag in Kühltaschen in der ehemaligen Küche deponiert hatte, außerdem mit selbst gebackenem Brot, das ganz ausgezeichnet war. Er sei kein großer Koch, sagte er, aber er bringe ganz passablen Kuchen zustande. Daraufhin präsentierte er eine Auswahl von Petits Fours, die ihr den Atem verschlug.
»Die hast du alle selbst gemacht?«
Er wurde ein wenig rot, als wäre er noch immer sechzehn und die Jahre seitdem nichts als ein langer, böser Traum gewesen. »Die meisten waren Experimente.«
Alle schmeckten vorzüglich. Zuletzt gab es Espresso, dann noch mehr Wein, und als sie sich im Kerzenschein über den Tisch hinweg ansahen, sprach Anais aus, was sie schon die ganze Zeit über dachte. »Das ist ein wirklich schöner Abend. Der schönste, den ich seit Langem erlebe.«
Er grinste, blickte auf sein Weinglas und drehte den Stiel zwischen den Fingern. »Immer, wenn ich was über dich in der Zeitung gelesen habe, hab ich mir vorgestellt, was du für ein Wahnsinnsleben führen musst. Auftritte im Ausland, tolle Hotels und die besten Restaurants.«
»Klar«, sagte sie, lehnte sich zurück und streckte sich ganz undamenhaft, »wenn ich mich nicht gerade vor laufenden Kameras ausziehe und mir die aberwitzigsten Aktionen ausdenke, um noch mehr Bücher an den Mann zu bringen.«
»Ich hab damals Die Verbrannten gelesen.«
»Nicht gerade mein bestes Buch.« Sie wartete ab, ob er nun mit dem üblichen Vorwurf kommen würde, darüber, dass sie ihrer aller Schicksal ausgeschlachtet und vermarktet habe, und dann würde sie dagegenhalten müssen, dass es zwar ein paar Dinge gebe, die sie übernommen habe, der Rest des Romans aber frei erfunden sei. Allein bei der Vorstellung, dieses Gespräch mit ihm zu führen, spürte sie Enttäuschung in sich aufsteigen.
Aber Sebastian sagte: »Ich fand, dass du den Schmerz sehr gut beschrieben hast. Den körperlichen und den anderen. Für mich hat sich das alles sehr aufrichtig angefühlt.«
Ihre Blicke kreuzten sich zum hundertsten Mal an diesem Abend, aber jetzt sah sie in seinen Augen etwas, das zuvor verborgen gewesen war. In den letzten beiden Stunden war er zuvorkommend, gut gelaunt und auf dezente Weise charmant gewesen. Sie bildete sich nicht ein, dass sie die erste Frau war, die er hierhergebracht hatte, und sie würde nicht die letzte bleiben. Aber sie hatte sich schon sehr früh entschieden, diesen Abend mit ihm zu genießen und sich wohlzufühlen, ihn zum Abschied unverbindlich zu umarmen und anschließend zurück zu Lily ins Hotel zu gehen.
Nun aber spürte sie in seinem Blick und seinem Ton eine Traurigkeit, die das Gespräch auf eine andere Ebene hob. Sie war nicht sicher,
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