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Klammroth: Roman (German Edition)

Klammroth: Roman (German Edition)

Titel: Klammroth: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isa Grimm
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ob sie das wollte.
    »Ich hab Erik getroffen«, sagte sie. »Er war ganz anders als früher.«
    Sebastian lächelte. »Er ist erwachsen geworden. Mehr oder weniger wie wir alle.«
    Alle bis auf die neunundachtzig, hätte sie beinahe gesagt. Da wurde ihr bewusst, dass nicht er oder die anderen das Problem waren   – sie selbst war es. Alles, was sie tat, sagte und dachte, führte immer wieder zum selben Ausgangspunkt. Jede Straße, die sie nahm, endete früher oder später am Tunnel. Ein vages Gefühl sagte ihr, dass es Sebastian genauso erging.
    Sie erinnerte sich wieder an den Sommertag vor neunzehn Jahren. »Er war vollkommen irre, damals.«
    »Wir haben uns ihm gegenüber jahrelang wie die letzten Idioten benommen.«
    »Diese Sache mit dem Lehrereingang   … Es war alles so viel schlimmer, als ich mir das vorgestellt hatte.« Sie schmunzelte bei der Erinnerung daran, obwohl es in den Tagen danach alles andere als komisch gewesen war. »Ich dachte, mein Vater dreht durch.«
    »Aber er hat niemals erfahren, wer dahintergesteckt hat, oder?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Hätte mich auch gewundert, weil er sich später so für Erik eingesetzt hat.«
    »Für Erik?«
    »Wusstest du das nicht?«
    »Ich hatte keine Ahnung.«
    »Dass Erik die Kurve gekriegt hat, in der Schule und überhaupt, das hat er zu einem großen Teil deinem Vater zu verdanken.«
    Jetzt glaubte sie zu wissen, was er meinte. »Wegen der Versicherungen? Mein Vater hat sich nach dem Unfall den Arsch aufgerissen, damit sie gezahlt haben. Er hat die Schuldauf sich genommen, dass der Tunnel nicht längst geschlossen worden war. Die Stadt hätte schon viel früher erkennen müssen, dass die Strecke veraltet war, die Straße voller Schlaglöcher, der Tunnel zu eng und so weiter.«
    In der Tat hatte ihr Vater Tag und Nacht dafür gearbeitet, dass allen Opfern so gut es nur ging geholfen wurde   – mit Ausnahme seiner eigenen Tochter, die er in einem Eingeständnis seiner Hilflosigkeit ins Internat abgeschoben hatte. Er hatte vehement darauf beharrt, dass die Schuld für das Unglück bei der Stadtverwaltung lag, weil sonst langjährige Prozesse gegen die Busgesellschaft und Gott weiß wen gedroht hätten. Damit hatte er akzeptable Schadenersatzzahlungen der Versicherungen durchgesetzt, sich zugleich aber als Bürgermeister ins Aus manövriert.
    Nachdem alle Opfer mit den nötigsten finanziellen Mitteln für ihre Betreuung ausgestattet worden waren, hatte er seinen Posten geräumt und zwei Jahre später auch die Leitung der Schule aufgeben müssen. Aber das sei es ihm wert gewesen, hatte er damals gesagt. Noch während er um die Versorgung der Verletzten kämpfte, hatte er für Theodoras Avila-Institut alle Hürden aus dem Weg geräumt und dafür gesorgt, dass die Schmerzklinik so schnell wie möglich eröffnen konnte. Auch das, so hatte er stets beteuert, allein zum Wohl der Kinder von Klammroth.
    »Dein Vater«, nahm Sebastian den Faden wieder auf, »hat damals eine Menge geregelt. Aber das meinte ich nicht. Er hat Erik unter seine Fittiche genommen. Erik selbst hat mir das mal erzählt.«
    »Inwiefern?«
    »Soweit ich weiß, hat er ihm nicht nur Nachhilfe gegeben, sondern ihm später auch die Ausbildung finanziert.«
    Sie trank fast ihr ganzes Glas auf einmal leer. »Ausgerechnet Erik ?« Sie schnappte nach Luft. »Scheiße-an-der-Lehrertür-Erik?«
    Sebastian grinste und nickte.
    Sie griff nach der Flasche und füllte das Glas bis einen Fingerbreit unter den Rand. Auch weil sie sich eingestehen musste, dass die Sache damals für sie durchaus ihren Zweck erfüllt hatte. Nur wenige Wochen später hatte Sebastian sie in seinem alten Kinderzimmer im Hotel der Teusners entjungfert.
    »Jedenfalls scheint es zu stimmen«, sagte Sebastian. »Erik ist nicht der Einzige, der das erzählt hat. Andere wissen auch davon.«
    »Ich nicht.«
    »Du warst ja auch im Internat.«
    Als wäre das Erklärung genug, dachte sie. »Ich wüsste nur gern, warum gerade Erik. Es gab doch viel schlimmere Fälle.«
    »Vielleicht war es wegen Eriks Vater. Ihn hat es schlimm erwischt. Alle vier Fahrer, aber ihn ganz besonders.«
    »Lebt er noch?«
    Er schüttelte den Kopf. »Er ist vor ein paar Jahren gestorben. Aber er hat lange durchgehalten. In seinem Zustand vielleicht zu lange.«
    Sie verzichtete darauf, sich nach den Einzelheiten zu erkundigen. »Eines jedenfalls muss man meinem Vater lassen: Er hat es geschafft, aus einem Spinner wie Erik einen halbwegs normalen

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