Klang des Verbotenen
versenkte.
Das Tier zeigte keine Reaktion. Mittlerweile hatte der Gehilfe seine Capa ausgewickelt und sprang nun, für seine Leibesfülle erstaunlich flink, vor dem Stier hin und her, rechtes Auge, linkes Auge, rechtes Auge, linkes Auge, um ihn dazu zu bringen, den Kopf zu schütteln, damit in seinem Inneren etwas, am besten die Herzarterie, zerrisse, doch der Todgeweihte starrte nur mitleidig betrübt auf das entwürdigende Gezappel dieses gelben Harlekins, preschte dann noch einmal vor, grub ein Horn tief in die Flanke des Pferdes, riss diese auf wie einen morschen Vorhang, stürzte um und war tot.
»Was für ein enttäuschendes Ende«, sagte der Trompeter, und das Publikum schrie durcheinander, uneins in seiner Einschätzung des Geschehenen.
»Bedauerlicherweise. Dieser Kampf war nicht sonderlich interessant«, stimmte Rávago zu, während drunten dem Pferd die Därme aus der Seite quollen und es langsam umkippte, ohne Reitersmann allerdings, denn der war gerade noch rechtzeitig aus dem Sattel gekommen und hatte sich gekonnt ein bevorstehendes unelegantes Absitzen erspart.
»Eine solche Art von Zweikampf, der Rejoneo«, fuhr Rávago fort, »ist die alte Form der Corrida, nur von Adligen und nur zu Pferde geführt, beinahe ausgestorben und kaum mit Risiken verbunden – für den Reiter, wohlgemerkt, denn das Pferd geht dabei so gut wie immer drauf. Aber sonst: wenig Spannung. Ist auch heute nur als netter Vorgeschmack gedacht und als Verbeugung vor der Tradition, und – stellt Euch vor! – selbst dieses harmlose Schauspiel wollte uns Geistlichen ein Papst einst verbieten! Ja, sollen wir uns denn heimlich in die Arena schleichen, die Kutte durch einen bunten Rock ersetzt?« Er lachte. »Doch das ist lange her und war nicht durchzusetzen. Nun, später wird es aufregender. Und wie geht es Euch? Was macht die Kunst?«
Escarlati war ob des flotten Themenwechsels verwirrt und wusste nichts zu sagen.
»Da wir so traut zusammenstehen«, fuhr der Geistliche fort, »möchte ich mir eine Frage erlauben, die ich schon lange mit mir herumtrage und über die wir ja schon einmal disputiert haben. – O nein, keine Angst, ich spreche nicht im Namen der Inquisition, sondern als Kunstliebender, durchaus als Verehrer Eures Spiels, schneller als der Teufel, nicht wahr? – Also, wir sollten uns darüber unterhalten, wann Ihr denn für uns etwas komponieren wollt. Und ich rede nicht von kleinen, lauschigen Sonaten – diese in allen Ehren –, nein, sondern von einer Messe, einem Stabat Mater, wie schon einmal vorgeschlagen, oder einem geistlichen Konzert, was immer Euch am Herzen, am christlichen Herzen liegt … Ihr könnt alles bekommen, was Ihr braucht: Sänger, auch Kastraten, Musiker, Zeit, so viel das Herz begehrt, und … Geld, das heißt, einen Extralohn. Nun, Letzteres versteht sich ja von selbst. Was haltet Ihr davon?«
Escarlati hatte ein Anliegen dieser Art befürchtet, waren doch schon mehrere Male vorbereitende Andeutungen gefallen.
Wozu, dachte er, hätte ich dann damals im Vatikan gekündigt? Nein, ich will nicht.
»Ein Angebot dieser Art ehrt mich zutiefst«, erwiderte er. »Und ganz besonders, wenn es von Euch persönlich kommt, doch …« – dabei verachtete er sich selbst, und seine Replik hätte nicht unehrlicher klingen können. Er wusste das und Rávago wusste das, aber darum ging es nicht.
Mittlerweile hatte man dem toten Stier zwei Seile um den Hals gelegt und zwei Reiter machten sich daran, den Kadaver aus der Arena zu schleifen. Blutspuren blieben im Sand zurück wie Kakaowirbel im Teig einer Torta.
»Doch«, fuhr Escarlati fort, »bitte ich, zu verstehen, dass ich beschlossen habe – und dies schon vor einiger Zeit –, mich nur noch auf eine Kunstform zu konzentrieren, nämlich die Sonate – und dies durchaus zu Ehren nicht nur der Kunst, sondern auch Gottes. Ja, das mag seltsam klingen oder auch sein. Vielleicht könntet Ihr mich am ehesten als eine Art Forscher begreifen, einen, der einen einzigen, ganz besonderen Aspekt der Kunst bis ins Kleinste studieren muss, ihm sozusagen verfallen ist … Versteht Ihr?« Fragend blickte er dem Beichtvater in die Augen, als bestünde tatsächlich Hoffnung, ihm seine Leidenschaft nahezubringen.
Rávago ließ keine Reaktion erkennen. Er hatte nicht damit gerechnet, leichtes Spiel zu haben – damit rechnete er nie, denn er war gewieft und bekam letztendlich doch so gut wie immer, was er wollte.
»Denkt einmal darüber nach«, sagte er und lächelte.
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