Klappe, Liebling!: Roman (German Edition)
stand am Rande des Flachdachs auf dem verlassenen Kornspeicherturm. Es war der höchste Platz weit und breit, abgesehen von der Brücke und dem Hotel. Er starrte über den Fluss hinweg zu dem hellen Lichtermeer von Savannah hinüber. Das Scharfschützengewehr lag auf dem Beton links von ihm, komplett montiert mit Zweibeinstütze und Thermosichtgerät. Einsatzbereit.
Er drehte den Kopf nach rechts und blickte zur Brücke hinüber. Die Filmcrew begann, Scheinwerfer und Kameras aufzubauen und Straßenkegel aufzustellen, die die eine Seite der Brücke Richtung South Carolina für den Verkehr sperrten. Verdammt richtig so .
»Du solltest aber Spiele und Spielzeug haben.«
»Was?« Er drehte sich um und sah die Göre auf dem Dach hinter ihm sitzen, mit dem Rücken gegen einen Schornstein gelehnt. Sie hatte sich die Hände schmutzig gemacht und war sich damit über die Wangen gefahren. Jetzt sah sie aus wie ein Teufelchen.
Und sie starrte ihn an. »Babysitter haben Spiele und Spielzeug. Connor hat gesagt, dass du mein Babysitter bist. Und wo sind die Spiele?«
»Hier hast du ein Spiel: Halt die Klappe.« Er blickte wieder zur Brücke hinüber.
»Das ist kein gutes Spiel.«
Ich hätte da ein gutes Spiel: Ich schmeiß dich von diesem verdammten Turm runter . Er konnte wahrscheinlich sogar noch einen Schuss landen, bevor sie auf dem Boden aufschlug. Aber Lebensbeweis, das hatte dieser fremde Mistkerl gesagt.
»Ich habe Hunger.«
»Halt die Klappe, Kleine.«
Sein Handy summte. Nicht der Fremde wegen eines Lebensbeweises. Tyler wusste, wer das war, und er wusste auch, was sie wollte. Was er mit dem Messer aus Finnegan herausgeholt hatte. Wieder summte das Handy.
»Du solltest ans Telefon gehen.«
Tyler nahm kaum Notiz von dem dritten Summen. Als es dann zum vierten Mal erklang, nahm er das Handy und löschte den hereinkommenden Anruf. Dann tippte er die Koordinaten ein, die Finnegan ihm in seiner Agonie zugeflüstert hatte. Er drückte auf »Senden« und dachte sich dabei: Das ist die verfluchte Hure, die versucht hat, uns außen vor zu lassen. Weiber . Er wollte sie sofort töten, aber Nash hatte Nein gesagt, denn sie war der einzige Pilot, den sie hatten, und sie brauchten den Vogel.
Nun ja, wenn das hier vorbei war, würde sie auch wieder landen müssen.
Tyler hörte hinter sich ein Rascheln und wandte sich um. Die Göre aß seine Käsecracker .
»Die schmecken aber nicht besonders«, meinte sie und blickte ihn stirnrunzelnd an. »Die sind gar nicht knusprig.«
»Die waren ja auch im Sumpf«, erwiderte er beleidigt. »Versuch mal, im Sumpf irgendetwas knusprig zu halten.«
»Wenn du die Tüte besser zugemacht hättest, wären sie noch knusprig«, erklärte sie und hob hochnäsig ihr Kinn.
»Nicht in einem verfluchten Sumpf «, widersprach er und wünschte sich sehr, dass er sie töten dürfte.
»Böses Wort«, versetzte sie.
Er wandte sich stumm ab. Entweder das oder sie auf der Stelle umbringen. Wenn da nicht dieser verdammte Lebensbeweis als Bedingung wäre.
»Hast du im Sumpf ›Müßig‹ gesehen?«, fragte sie.
»Was?«
»›Müßig‹. Dieses Alligatorweibchen mit nur einem Auge. Hast du sie gesehen?«
»Klar hab ich sie gesehen.« Tyler sah auf die Uhr. Jetzt sollten sie sich bald auf den Weg zur Brücke machen.
Hinter ihm raschelte die Tüte wieder. Verflucht, es würden ihm wohl keine Käsecracker übrig bleiben.
»Du riechst schlecht«, stellte das Mädchen fest.
Tyler dachte: Und du stirbst , und legte sein Auge an das Sichtgerät.
Lucy traf J. T. und Gloom auf der Brücke. Vor drei Tagen erst hatte sie zum ersten Mal auf dieser Brücke gestanden und zugesehen, wie ein Helikopter landete und J. T. ausstieg. Es kam ihr vor, als seien inzwischen tausend Jahre vergangen.
»Was hat der Arzt gesagt?«, fragte J. T., als sie neben ihm stand.
»Daisy wird noch eine Weile bewusstlos bleiben, aber sie kommt wieder in Ordnung. Estelle ist bei ihr. Der Arzt ist jederzeit telefonisch erreichbar. Es wird alles wieder gut.« Lucy schluckte. »Aber wir sollten Pepper besser zurückbekommen, bevor sie zu sich kommt.«
»Jesus«, stöhnte Gloom.
»Gloom ist gerade erst hergekommen«, erklärte J. T. »Ich habe ihn angerufen …«
»Gut«, meinte Lucy. »Denn das wollte ich als Nächstes tun. Wir müssen einen Plan entwickeln.« Sie presste die Lippen zusammen. »Es ist alles außer Kontrolle geraten. Irgendwie müssen wir die Dinge wieder unter Kontrolle bekommen. Wir können nicht einfach
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