Klappohrkatze auf Reisen
kippte hoch, und schon fiel so viel Holz auf die Straße, dass man damit den brasilianischen Regenwald wieder aufforsten konnte. Es dauerte vielleicht drei Minuten, bis alles Holz vom Laster gerutscht war. Zwei weitere Minuten dauerte es, bis der Laster ans Ende unserer Straße gelangte und sich aus dem Staub machte. Und dann brauchten Janis und ich sechs Stunden, um es wegzutragen und auf jedem freien Zentimeter – in den drei Nebengebäuden hinter dem Haus, im cave , in der Küche, im Gang neben Nortons Katzenklo – zu stapeln und dann erschöpft auf dem Fußboden zusammenzubrechen.
Auf seltsame Art fühlten wir uns wohl inmitten all dieser Exzentrik. Wir fühlten uns dadurch als Teil des Dorfes. Und dieses Gefühl verstärkte sich noch, weil wir von den einheimischen Goultois erstaunlich schnell akzeptiert wurden. Wir freundeten uns mit einer französischen Nachbarin an, die auch unsere Französischlehrerin wurde. Sie wiederum stellte uns eine andere Freundin vor, die zu unserer Goult’schen Version der Millie aus der Dick Van Dyke Show wurde – sie kam zu jeder Tages- und Nachtzeit bei uns vorbei; wir durften es genauso halten. Auch sie brachte uns ein paar Stunden pro Woche Französisch bei; wir wiederum verbrachten ungefähr die gleiche Menge Zeit damit, ihr Englisch beizubringen. Und seitdem erweiterte sich unser Freundeskreis und bei unserer Abreise zählten wir vier Französinnen, eine Schwedin und zwei Franzosen (einer davon wurde mein Sportkumpel; da ich meine dringend benötigte Dosis Football, Basketball oder Baseball nicht bekommen konnte, gingen Norton und ich bei ihm zu Hause Fußball gucken. Olympic Marseille wurde für mich beinahe das, was die ’86 Mets einst gewesen waren) zu unseren lebenslangen Freunden.
Außerdem schlossen wir uns der außergewöhnlich interessanten Ausländergemeinde an, die das Lubéron bevölkerte. Die meisten dieser »Expatriates« waren Briten, einige Amerikaner. Ausländer laufen meist vor irgendetwas davon. Manche vor der Arbeit. Manche vor der Politik. Manche vor Beziehungen. Fast alle laufen auf die eine oder andere Art vor sich selbst davon und glauben, ein neues Leben an einem neuen Ort, vor allem einer Gegend wie der Provence, werde ihnen helfen, sich selbst zu finden. Manchmal wollen sie ganz bei null anfangen, manchmal möchten sie nur Kleinigkeiten ändern.
Fast jeder Expatriate, den wir trafen, hatte irgendein Geheimnis. Es gab scheußliche Scheidungen in der Vergangenheit. Wegen jüngerer Männer hatten manche ihre Ehemänner, andere ihre Ehe frauen verlassen. Es gab leicht unheimliche Geschichten: gewaltsam endende Affären, Selbstmordversuche, mysteriöse Verluste von Millionen Dollars. Über jedem, mit dem wir uns anfreundeten, schien ein leichter Schatten zu schweben – und das machte sie nur noch interessanter. Es machte sie anziehend. Hinzu kam natürlich, dass sie alle dieselbe Entscheidung getroffen hatten wie wir – das gewohnte Leben hinter sich zu lassen und sich in einem französischen Paradies niederzulassen –, was sofort ein Gefühl der Verbundenheit schuf, eines, wie ich persönlich es nicht mehr empfunden hatte, seit man mir ein gewisses sechs Wochen altes Schottisches Faltohrkätzchen geschenkt hatte.
Wir besuchten mit diesen Leuten das Opernhaus in Avignon, um Mozartkonzerte zu sehen, und übten unser Französisch durch Lektüre des Provençal , das regionale Pendant zum National Enquirer (ihr Lieblingsthema ist, wie viele Leute pro Woche auf der Autobahn ums Leben kamen: 4 MORTS ET 7 BLESSÉS ! ist eine typische Schlagzeile des Provençal ). Wir gingen zu Cembalokonzerten in Dorfkirchen und pilgerten nach Avignon, um englischsprachige Filme zu sehen. Wir wanderten kilometerweit mit ihnen, erforschten die Wunder der Bergwelt, gingen auf Schatzsuchen und tanzten einmal, bei einem magischen Neujahrspicknick, sogar im Kreis, hielten uns an den Händen und sagten den Text von »Sur le pont d’Avignon« (aber falls das jemand irgendeinem meiner engen, persönlichen Freunde weitererzählt, werde ich es abstreiten). Wir blieben lange auf und pflegten gebrochene Herzen, wir durchlitten mit ihnen ihre Affären mit verheirateten Männern, aßen bei ihnen und kochten für sie. Wir erzählten Witze – in diversen Sprachen – und brachten uns gegenseitig zum Lachen. Und wir erfuhren nach und nach eine Menge über eine Gruppe von Leuten – Engländer, Amerikaner, Franzosen, Schweden, was ihr wollt –, mit denen wir auf den ersten Blick
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