Klappohrkatze auf Reisen
hatte keiner von uns Amerikanern eine genaue Vorstellung davon, was genau Thanksgiving eigentlich war. Wir wussten, dass es irgendetwas mit den drei Ps zu tun hatte: Pilgerväter, Plymouth Rock und Pocahontas. Und wir waren uns ziemlich sicher, dass wir Dank sagen sollten für Religions- und politische Freiheit und dafür, dass es nur in Amerika einen offiziellen Feiertag geben konnte, der einem kreativen Unternehmer erlaubte, Millionen Dollar mit diesen kleinen, orange-schwarzen Candy Corns zu machen. Davon abgesehen wussten wir nur, dass wir eine Menge Truthahn und Kürbis-Pie essen mussten. (Allerdings ist Kürbis-Pie in England nicht sonderlich bekannt, und als Collegestudenten wussten wir nicht genau, wie man sie macht – also versuchten wir sie mit frischem statt mit Dosenkürbis zu machen. Es ist gar nicht so einfach, den Geschmack unseres Desserts an jenem Abend zu beschreiben. Am nächsten kommt noch der Vergleich mit der delikaten Textur eines Frotteebademantels und dem subtilen Geschmack einer großen Menge von ungezuckertem Kakao.) Bis auf den heutigen Tag laufen wahrscheinlich mehrere Engländer durch London und sind davon überzeugt, dass die Amerikaner an jedem letzten Donnerstag im November ein bizarres Pilgerväter-Indianer-Sexritual feiern, indem sie grässliches Essen verzehren.
In Frankreich machten wir es etwas besser, aber nicht sofort.
Zwei Wochen vor dem großen Tag gingen wir zu einem der Fleischer in Goult – wir hatten uns für einen entschieden, den wir bevorzugten, wofür es allerdings keinen logischen Grund gab – und sagten ihm, wir würden für Ende November gerne einen Truthahn ( un dindon ) bestellen.
»Sie meinen Ende Dezember«, sagte er.
»Nein«, sagte ich. »Ich meine Ende November.«
»Das ist nicht möglich«, sagte er.
»Und warum nicht?«, wollten wir wissen.
»Weil die Truthähne noch nicht fett sind«, sagte er.
Wie sich herausstellte, isst man in Südfrankreich nur zu Weihnachten Truthahn. Daher sind, vor allem in solchen ländlichen Gegenden wie dem Lubéron, November und Dezember die Monate, in denen die Vögel gemästet werden, bis sie dick genug sind für le diner de Noël .
»Aber es ist ein sehr wichtiger amerikanischer Feiertag«, erklärte ich Monsieur Isnard, dem Fleischer unseres Vertrauens. »Wie wäre es, wenn wir einen erbärmlich dünnen Truthahn bestellten?«
Non.
Wir überlegten, ein Thanksgiving-Festmahl mit Huhn und Schalottentarte abzuhalten, aber dieser brutale Traditionsbruch wurde uns erspart, da unsere Freunde Nicholas und Linda anriefen und uns einluden, nach Paris zu kommen und mit ihnen Thanksgiving zu feiern.
Nicholas ist Franzose, Linda ist Amerikanerin, und sie leben jetzt seit fünf Jahren in Paris. Außerdem haben sie fünfjährige Zwillingstöchter, Naomi und Gala, die vermutlich hinreißendsten, süßesten Kinder, die es je gab. Damals weigerten sie sich, auch nur ein einziges englisches Wort zu sprechen, obwohl Mom Amerikanerin ist und sie absolut alles verstanden, was man auf Englisch sagte und was sie verstehen wollten. Stattdessen sahen sie anbetungswürdig aus, sprachen perfektes Französisch und sagten solche süßen kleinen enfant -mäßigen Sachen wie auf der Autofahrt an einem kalten Wintertag:
»Oh, maman, j’adore la musique et le chauffage!« , was heißt: »Oh, Mom, ich liebe die Musik und die Heizung.« Ich weiß, übersetzt klingt es lange nicht so gut, wie alles andere auch, und wenn sie diese akzentuierten Epigramme ausspuckten, schmolz mein Herz so schnell dahin, dass es geradezu bemitleidenswert war. Wir hatten also ohnehin Lust, Linda, Nicholas und die Kinder zu sehen, und die Entscheidung fiel uns umso leichter, da Linda eine erstklassige Köchin ist. Also ging es zu Thanksgiving nach Paris.
Der TGV – train à grande vitesse (»Hochgeschwindigkeitszug« oder »großer, sehr, sehr schneller Zug«, wie ich ihn gerne nenne) – hat das Leben aller Provence-Bewohner verändert. Früher dauerte die Zugfahrt von Paris nach Avignon sechs bis sieben Stunden. Es war eine Tagesreise, bis man am Bahnhof war, auf den Zug gewartet, unterwegs hundertmal angehalten und schließlich sein Ziel erreicht hatte. Jetzt, mit dem schnellen Zug, braucht man drei Stunden von der Provence bis nach Paris und reist auf extrem luxuriöse Art. Der Nachteil ist, dass die reicheren und unangenehmeren Pariser die Provence jetzt als eine Art Wochenendziel betrachten. Andererseits ist es dadurch ganz besonders schön, dort unten zu
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