Klar sehen und doch hoffen
Verdächtigung besonders an den Lebensnerv. Da schien es mir gut, richtig und wichtig, dass Egon Bahr ihn aus Anlass seines 75. Geburtstages am 16. Mai 2011 würdigte. Bahr, ein so weitsichtiger und welterfahrener Politiker, der für seine erfolgreichen Verhandlungen mit der UdSSR und der DDR einen Black-Channel genutzt hatte, um komplizierte Verhandlungen auch im Verborgenen voranzubringen, hat sich öffentlich hinter ihn gestellt und innere Einheit durch Versöhnung angemahnt.
Helmut Schmidt hat sich ebenso hinter Stolpe gestellt wie der segensreich im Stillen und in großer Beharrung wirkende »Ständige Vertreter der Bundesrepuplik in der DDR« Hans-Otto Bräutigam.
Ich selber bin froh, dass es in der DDR-Zeit einen Manfred Stolpe gab, der ganz im Sinne einer schrittweisen Erweiterung der Menschenrechte, der Entspannung im KSZE-Prozess und der Schlussakte von Helsinki (insbesondere Korb 3)seit 1975 öffnend mitgewirkt und beharrlich dafür gearbeitet hat, dass die Mauer niedriger wurde, dass Begegnung der Menschen im geteilten Deutschland schrittweise mehr und mehr möglich wurde. Und so konnte er sich für viele einzelne, besonders bedrängte DDR-Bürger – auch in Abstimmung mit dem Anwalt für besondere Angelegenheiten Wolfgang Vogel – einsetzen. Dafür war er bereit und fähig, mit denen zu reden, die eine demokratisch nicht legitimierte, aber tatsächliche Macht im SED-Staat innehatten. Was ist praktische Politik denn anderes als die Kunst des Möglichen, die das im Augenblick Unmögliche nicht aus dem Blick verliert, also Prinzipien verpflichtet bleibt?
Der Kalte Krieg ist zu Ende. Manche führen ihn weiter, als ob sie eine Verlustangst (einschließlich eines Feindverlustschmerzes) antriebe – ohne dass sie sich heutigen Herausforderungen auch nur entfernt mit vergleichbarer Intensität zuwenden würden. Aktivitäten nach rückwärts schlagen sie ganz in ihren Bann. Es gilt freilich, nichts zu verschweigen, was war, wie es war, warum es so war, wer was zu verantworten hat, aber auch nicht zu schweigen zu dem, was heute ansteht und was in der Freiheit das offene – auch das protestierende – Wort braucht.
Dass die Zeit Wunden heilt, ist eine Gnade, die all jene ausschlagen, die die Wunden beharrlich aufkratzen. Wer wollte die Narben verschweigen und wer sollte nicht froh sein über das Vernarbte? Ich weiß sehr wohl, wie schwer das ist. Und ich habe die Tragfähigkeit jenes Pauluswortes bedacht: »Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem« (Römer 12, 21).
Und ich habe mein Pfarramt auch immer so verstanden, dass mir durch Jesus Christus »das Amt gegeben ist, das die Versöhnung predigt«(2. Korinther 5,18), dass wir durch die Fährnisse des Lebens geleitet werden (vgl. 2. Korinther6,1–10) und dass jedem Menschen ein Neuwerden zugetraut ist. Schließlich war Paulus selbst einmal ein eifriger Christenverfolger gewesen. Stets hatten ihn seine Gegner, gerade seine Glaubensbrüder(!), auf seine Vergangenheit festlegen, ja festnageln wollen. Ein Versöhner hat »vor der Welt« meist schlechte Karten, weil er immer beiden Seiten etwas zumutet: Scham und Einsicht auf der einen, Großmut und Verzeihen auf der anderen Seite.
WIR SIND ÜBERALL AUF DER ERDE –
STASI UND KEIN ENDE
»WIR SIND ÜBERALL AUF DER ERDE« – ERFAHRUNGEN MIT DEM SPITZELSTAAT
Der Mensch ist ein leidenschaftlicher Beobachter, besonders seiner Mitmenschen, und er scheint in gleicher Leidenschaft Mitteilung machen zu müssen von dem, was er durch Feldstecher und Schlüssellöcher gesehen hat. Die Geschichte der Staaten lehrt: Aus Neugier ist ein Gewerbe geworden, aus Neigung ein Dienst, das Forschertum spaltete beizeiten seine gefährlichste Unterart ab – Spione, Spitzel und geheime staatliche Polizisten. Stephan Heym hat in seinem »König-David-Bericht« in unvergesslicher Weise beschrieben, wie die Geheimdienstchefs zu Zeiten Davids und Salomos – auch gegeneinander – so subtil wie mörderisch agierten. Seltsam: Besonders schnell und eifrig nimmt der Informationsfluss seinen Weg von unten nach oben, sein Flussbett ist die dauerhaft vorgehaltene Hand, er strömt leise, dieser Fluss, aber er unterwandert ganze Gesellschaften, und es ist ein unnatürlicher Fluss: Statt der Fische nährt er zum Beispiel Wanzen …
Was der SSD war, der Staatssicherheitsdienst, das bekam ich bewusst mit, als ich acht Jahre alt war. Der Vater meines Freundes »Diddi« Baum war ein im ganzen Dorf
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