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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Schlimmeres zu verhüten.
    Er fragte mich, ob ich denn bei den Verhandlungen mit der Stasi dabei gewesen sei. Blöde Frage, dachte ich und verwies darauf, dass ich Stolpe 17 Jahre kenne und oft erlebt habe, wie er sich in Krisensituationen für hilfesuchende Bürger eingesetzt und dabei seine Kanäle genutzt hat, die keinem andern zugänglich gewesen waren. Dies habe er, Mertes, nicht bestreiten wollen, er habe sich auch nicht zum Richter aufgeschwungen, und die Forderung des Rücktritts vom Amt des Ministerpräsidenten habe er doch mit der Frage versehen: »Was ist wichtiger: hier den Amtssessel zu verteidigen oder den wirklich notwendigen Informationsbeitrag, den zeitgeschichtlichen Beitrag zu leisten für etwas, was uns Deutschen ganz nottut?« Und er fände das Ministerpräsidentenamt da nicht so wichtig! Ich versuchte zu würdigen, wie Stolpe sich in vielen kleinen Schritten um eine Erweiterung der Menschenrechte bemüht habe und so ein konsequenter Anwalt innerer Öffnungen wurde, der nicht beschwichtigen, aber innenpolitisch Ruhe haben wollte, damit sich überhaupt etwas bewegt – nicht beruhigen, besänftigen, alles runterdrücken, aber Eskalationen zu vermeiden trachtete.
    Nach Mertes' »Journalistenmeinung« könne Stolpe unbefangener, freier seine damalige Herangehensweise ausbreiten, wenn er nicht in den Zwängen des Ministerpräsidentenamtes säße, das ihn automatisch in die machtpolitischePolarisierung brächte. Wir bräuchten »den Stolpe als Führungsfigur und als Identifikationsfigur und als Aufklärungsfigur so dringend, mit seiner persönlichen Biographie«. Heuchlerischer kann man gar nicht argumentieren, dachte ich, zumal wir nicht so viele Leute aus dem Osten hatten, die so einen Posten ausfüllen könnten!
    Ich dürfe, meinte Mertes, »jetzt nicht einer neuen Harmonisierung das Wort reden. Die Dinge sind tragisch, die Dinge sind schrecklich … Da muss man offen miteinander reden. Wir sind keine Sensibelchen, aber wir würden doch gerne etwas fairer beurteilt gerade auch von den Deutschen in den neuen Ländern. … dass sich jetzt ein ostdeutsches Sonderbewusstsein entwickelt, in dem man sagt: ›Da dürfen Westdeutsche nicht drüber reden!‹«
    Er verstünde überhaupt nicht den politischen Zusammenhang, in dem Stolpe damals handeln musste, meinte ich und wünschte Herrn Mertes persönlich 40 Jahre Leben in der DDR, ohne die Aussicht, dass sie bald einmal zu Ende geht. Und dann könnten wir miteinander noch mal reden.
    Im »Stern« (3/2002) gefragt, ob er sich bei einigen Opfern aus früheren Moderatorentagen entschuldigt habe, erwiderte Mertes: »Mit Stolpe bin ich außerordentlich fair verfahren … In der Abmoderation habe ich dann gesagt, dass er sich nicht werde im Amt halten können.«
    Ich selber habe Manfred Stolpe als einen hochbegabten Kirchendiplomaten erlebt, der in der Lage war, auf ganz unterschiedlichen Parkettböden zu bestehen. Obwohl wir öfter in der Einschätzung der DDR und ihrer politischen Maßnahmen Differenzen hatten, hat er mich nirgendwann bedrängt, geschurigelt oder ermahnt. Er hat um Verständnis geworben, z. B. bei dem Verzicht auf meine Mitwirkung bei der Sternfahrt der Ökologiegruppen nach Potsdam Hermannswerder1984. Er wirkte als Prellbock für beide Seiten, damit es nicht zum Zusammenstoß kommt oder eine Sackgasse ins Abgründige führt. In der Diskussion zwischen den Basisgruppen bzw. der »Kirche von unten« während des Kirchentages 1987 in einem Berliner Gemeindehaus habe ich ihn mit Bischof Gottfried Forck erlebt, wo Stolpe gewissermaßen als »Briefträger« zwischen Basisgruppen und den nervös gewordenen Staats- und Staatssicherheitsorganen fungierte. Die Vertreter der Basisgruppen sparten nicht mit Kritik, und Stolpe wollte klarmachen, dass man den Bogen auch nicht überspannen dürfe, weil die Situation dann unkalkulierbar werden könne. Aber er ließ doch klar erkennen, auf welcher Seite seine Sympathien sind und wessen Vertreter er ist.
    Immer wollte er »ver-mitteln«, immer konfliktminimierend wirken, Verhärtungen aufbrechen, festgefahrene, aufeinander fixierte Konfliktpartner miteinander ins Gespräch bringen, grenzüberschreitende Kontakte ermöglichen.
    Und wer die Stasiakten über Stolpes Einlassungen liest, muss berücksichtigen, in welchem Zusammenhang er den Sicherheitsleuten sagte, dass sie toleranter und zurückhaltender sein müssten, weil sonst die jungen Leute und einige Pfarrer »nicht mehr zu bändigen« seien. Den »jungen

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