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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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1.1.4«.
    Wie viel Schuss Munition beim Verhaften mitgenommen werden müsste, war ebenso klar festgelegt wie die Utensilien, die der zu Internierende mitnehmen durfte.
    Ein IM referierte 1984 meine Position in einem Gespräch im Turmzimmer der Schlosskirche zu Wittenberg: »Es sei heutzutage wichtig, haarscharf an der Grenze des Strafvollzuges vorbeizumarschieren, aber immer noch mit beiden Beinen auf der sicheren Seite zu stehen. Es ist unabhängig, ob man 100 m oder 1 mm neben dem Knast steht, Hauptsache man steht daneben.« (Wohlgemerkt: Das sind als meine wörtliche Rede vom Spitzel wiedergegebene Sätze. Aber im Prinzip sind sie nicht falsch.)
    Genau das Gegenteil von dem, was ich dachte, vermittelt ein IM am 24. Oktober 1986: »Johannes identifiziert sich gegenüber dem IM eindeutig mit den Zielen und Vorgehensweisen der Reagan-Administration, vertritt deren Ideologien. Johannes bekennt sich offen zum Antisowjetismus und Antikommunismus, womit er gleichzeitig seinen Standpunkt charakterisiert.«
    Die Stasi scheute sich nicht, meine Kinder auf zynische Weise zu »zersetzen«. »Einleitung von offensiven Maßnahmen gegen die Tochter … Suche und Anschleusung eines geeigneten Sexpartners mit vielen Widersprüchen. (politischpositiv; kein Christ; kann auch ›Assi‹ sein u. ä.).« So zu lesen in einem Bericht vom 21. August 1989. Auch mein Sohn kommt in diesen Berichten vom August 1989 vor:
    »Einbeziehung des Vorkommnisses mit dem Sohn des Sch. (OPK ›Judas‹) in den Prozess der Diskreditierung. In Abstimmung mit dem Leiter VK wird vorgeschlagen:
    Durchführung Ordnungsstrafverfahren
    Publizierung in Kreiszeitung
    Einleitung der OPK ›Judas‹: Gründe: – feindl.-negative Einstellung, Leiter einer Musikgruppe welche nicht eingestuft ist. Verbindung zur OPK ›Kahlkopf‹, will von FDJ und Staat nichts wissen.« Ich war für die Stasi Johannes, der Lieblingsjünger des Herrn, und mein Sohn Judas, sein Verräter. Der Zynismus spielte mit Bildung und Halbbildung. Dieser »Judas« war kein IM gegen mich, sondern selber ein Bespitzelter. Der Herbst 1989 hat den zitierten Plänen den Garaus gemacht. Nachdem der real existierende Stasiismus im Orkus der Geschichte gelandet ist, fühle ich mich mehr beglückt als fortwährend belastet von dem, was war. Und doch kommt gelegentlich das kalte Grausen wieder.
    Bis in den Kern der oppositionellen Gruppen drang die Stasi ein. Wolfgang Schnur mag eine gespaltene Persönlichkeit gewesen sein. Er war parteitreuer Täuscher par excellence. Als andere IMs gegenüber der Staatssicherheit den Verdacht aussprachen, Schnur sei doch auch für den BND tätig, beteuerte dieser: »Ich bin immer IM geblieben.« 49 Er kritisierte gekränkt, dass ihm durch das MfS nicht genügend Anerkennung und Hilfe zuteil geworden sei: »Ich habe meine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit stets als eine freiwillige Pflichterfüllung gegenüber der Partei der Arbeiterklasse angesehen. Diese Erklärung stellt keinen Versuch dar, meine Fehlentscheidungen und Pflichtverletzungen zu entschuldigen …
    Ich bestreite nicht, dass auch durch mich oft erstrebt wurde, eine ideelle Auszeichnung zu erhalten. Wenn mir diese bisher versagt blieb, schreibe ich dies meinen eigenen begangenen Fehlern zu …
    Im Interesse des Schutzes unseres Staates habe ich mich stets davon leiten lassen, dass die Aufgabenerfüllung im Vordergrund steht. Fast zwei Jahrzehnte muss ich die Rolle eines Christen spielen. Jede neue kirchenpolitische Einbindung habe ich als eine weitere Möglichkeit angesehen, dass die Auftragserfüllung noch qualitativer von den Berichten und Informationen ist.«
    Schnur war seit 1965 als IM des MfS registriert. Er selber beteuerte: »Im Jahr 1965 ist es dann so gewesen, dass ich mit dem MfS Kontakt bekommen habe und meine Verpflichtungserklärung freiwillig und ohne irgendwelche Zwänge unterzeichnet habe.« Und diesem besonders fromm erscheinenden Menschen haben wir getraut und ihm junge, politisch bedrängte Menschen anvertraut. Mir hat er einmal sein Leid geklagt, als er angeblich eine von ihm betreute ausgereiste Frau liebte und eine Möglichkeit suchte, sie mittels eines gefälschten Passes wiederzusehen. Denn er könne ja nicht die vielen hilfebedürftigen jungen Leute allein lassen. Ein US-Diplomat solle ihm doch helfen! Mein Kommentar 2012: Ein kräftiger Tritt in den Hintern steht immer noch aus.
DIE AKTEN UND DIE INNERE EINHEIT
    Ganz im Sinne von Václav Havel haben wir in

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