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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Forschungsheim und Predigerseminar waren nur zu unserer Ablenkung da. »Wir waren immer dabei und zwar durch Personen. Die Sender steckten jeweils am Mann.«
    Eine enge Zusammenarbeit mit der Lutherhalle war »natürlich klar«, und es wurden dort Veranstaltungen abgehört, sofern sie von der Kirche waren (z. B. eine Propsteimitarbeiterversammlung mit Bischof Demke). Im Herbst 1989 hieß die Devise: »Es darf kein Schuss fallen«, deshalb mussten alle Waffen abgegeben werden. Die Dienststellen waren schließlich unbewaffnet. »Wenn Sie sich selber das Leben genommen hätten, wäre ich – so gesehen – am Ziel meiner Arbeit gewesen … Alles, was Sie machten, war für uns interessant.« Gröber habe noch selber gekündigt und arbeite nun bei der Reichsbahn. Er entschuldigte sich, wenn er mir wehgetan habe. Er habe eben seine Arbeit getan. Sie habe ihm Spaß gemacht, weil er mit Menschen umgehen konnte. Es sei sehr interessant gewesen, und er wollte »gut sein«, und das hieß, alles wissen und korrekt weitergeben.
    Der zur Reichsbahn gewechselte Major ist vor vielen Jahren an Krebs gestorben. Das alles anzuhören und ruhig und aufmerksam zu bleiben war für mich hart gewesen; ich hatte mich gleich nach dem Gespräch hingesetzt und alles aufgeschrieben. Dann legte ich alles ab. Im doppelten Sinne. Und erst 2011 holte ich es wieder hervor.
    Gröber machte mir nichts vor. Er meinte es ernst. Er hatte nicht verschwiegen, wie pervers das Ganze gewesen war. Und ich fragte mich damals und frage mich heute: Wer war das, der mir da gegenüber gesessen hatte? Ein Verlierer. Glücklicherweise ein Verlierer, der mir dienstlich ans Leben wollte und dessen Leben darin bestanden hatte, mein Leben zu beobachten und die strafrechtliche Relevanz herauszuarbeiten. Und der doch auch durch seine Beobachtungen verändertworden war. Kein Unmensch. Geradezu eher depressiv wirkend, mit tiefliegenden, blauumrandeten Augen. Er hatte mich bis in die Träume verfolgt, nachdem er mich zusammen mit dem Mann fürs Grobe, Franz Schuster, der noch 1989 mehrere IMs gegen mich anwerben wollte, zu einer »Befragung« über Thomas Heinemann 1982 vorgeladen hatte. Beide Herren hatten vor meiner Wohnungstür gestanden und mir ihre Dienstausweise der Staatssicherheit vors Gesicht gehalten. Ich fühlte mich wie in einem Nazi-Gestapo-Film.
    Sie hatten beide in mir die Assoziation an den Film über Richard III., wo zwei Büttel die beiden Sprösslinge des Königs unter einem Kissen erdrosselt hatten, geweckt. Soll ich alle, die bei diesem Ministerium gearbeitet haben, zu Unmenschen erklären? Was sie getan haben, ist und bleibt mir fremd, auch widerlich. Später habe ich von einem jungen Mann, der nach 1989 noch Journalistik studiert hatte, aber vorher als Arbeiter von der Stasi für Beobachtungstätigkeiten in Leipzig geworben worden war, in einer Kneipe eine Generalbeichte über sein Leben abgenommen. Er schickte mir darüber einen sehr langen, persönlichen, ausführlichen Brief. Er wollte dies nicht veröffentlicht sehen. Er wolle seine Arbeit und seinen Ruf behalten.
IN DEN ABGRUND SEHEN – STASI-SPITZEL UND STASI-METHODEN
    Da aller Geschichte zuvörderst eine Unternehmung des Irrwitzes und den Tragödien die Farce beigesellt ist, könnte man überspitzt sagen: Die SED war die eigentliche, die konsequente Konterrevolutionärin. Sie installierte mit der Staatssicherheit, die ihr »Schild und Schwert« sein sollte, letzten Endes just jenes Instrument, das den Staat DDR ruinierte. Der Sicherungswille steigerte sich zum Sicherheitswahn, der Sicherungswahnkitzelte den Machtwahn, bis sich das System nur noch lächerlich machte, wenn es den Zeitungsmund aufmachte. Am Ende musste es sogar Angst vor denen haben, die jede Zeitung zusammenknüllten und die Papierkügelchen in die Gosse warfen, wohin der ganze Staatsdreck gehörte. Der Sicherheitswahn war eines Tages übergeschnappt und kam ins Stolpern zwischen den unzähligen friedlichen Freien, die »Wahnsinn!« riefen. Endlich war das Regime auf der Höhe der Zeit: Es stürzte in die Tiefe. Wo es klapprig in die Grube der Geschichte gerutscht war wie in ein lange schon bereitetes Grab, dort erhob sich jetzt ein stinkender Aktenberg.
    Wer sich zumutet, die Akten der Staatssicherheit zu lesen, kriecht in die fauligen Stollen dieses Berges, blickt in scheußliche Abgründe. Froh bin ich, dass keiner meiner wirklichen Freunde unter denen war, die mich bespitzelten und im Auftrag der Stasi versuchten, mein Leben zu

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