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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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der Opposition gegen die SED-Herrschaft – später vom Westen »Bürgerrechtler« genannt – den »Versuch, in der Wahrheit zu leben«, unternommen, gegen viele Widerstände, gegen das System der ideologiegestützten Lügen. Noch immer frage ich kopfschüttelnd,wie man nach dem Ende der DDR die Verwalter der Lüge und ihre Hinterlassenschaften zum Anwalt der Wahrheit erklären konnte. Die bloße Aufführung eines Menschen als Zuträger (IM) wurde vielfach zu seiner öffentlichen Brandmarkung genutzt. Muss man nicht – wie bei allen Akten – fragen, wer denn da was für wen warum in welcher Sprache und mit welcher Motivation und Zielstellung aufgeschrieben hat? Das jedenfalls war und blieb mein Anliegen: Differenzierung durch die Beantwortung von fünf W-Fragen!
    Die Akten, die von den Verwaltern der Lüge ausgefertigt wurden, können kaum der Wahrheit dienen. Und man darf Menschen prinzipiell nicht von Akten her, sondern muss die Akten von Menschen her und von deren Lebenszusammenhängen aus erklären. Für die Be- und Verurteilung von Menschen ist ein Gericht zuständig, nicht eine Behörde. Die Behörde hat Gerichten Material zuzuliefern für die Rechtsprechung. Das Recht ist dazu da, dem Rechtsfrieden zu dienen und nicht dem Unfrieden. Das Recht hat keinen politisch instrumentalisierten Zweck, sondern soll Rechtssicherheit schaffen. Was hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter der Stasi betrifft, so ist das ggf. Verwerfliche ihres Tuns weder zu verschweigen, zu beschwichtigen, zu verharmlosen noch zu übertreiben oder zu generalisieren. Umstände sind bisweilen durchaus mildernd, wobei geistige Borniertheit, menschliche Schäbigkeit und ideologische Verblendung – unter Ausschaltung des Gewissens – ein einziges Knäuel inmitten einer paranoiden Führungsklasse bilden. Erklären heißt indes nicht zu rechtfertigen. Wenn wir mehr als zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR noch immer so tun, als stünden wir direkt vor den Toren der Stasi, und noch bis zum Jahre 2019 Anfragen einreichen und (Regel-)Überprüfungen vornehmen können, die das künftige Leben der »Enttarnten« schwer behindern, so dient das nicht dem inneren Frieden.
    Ich sage das alles als der sogenannte OV »Johannes«, über den man 1977 den sogenannten operativen Vorgang eröffnet hat. 52 Seiten wurden zur Begründung aufgeschrieben. Ich wurde als »Staatsfeind Nr. 1 im Territorium« und in vielen Variationen als eine reaktionär-klerikal-feindlich-negative Person bezeichnet. Ich habe am eigenen Leibe erfahren, was systematische Zersetzung bedeuten kann.
    Wir brauchen jetzt Versöhnung, wozu auch juristisch die Verjährung gehört. Wo keine Kapitalverbrechen vorliegen, muss nach 22 Jahren (bzw. nach 29 Jahren im Jahre 2019) jedem eine faire zweite Chance gegeben, muss eine Wandlung respektiert werden und ein selbstbewusstes Mittun in unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft möglich sein.
    Zweimal ist der Termin für das Ende der Stasi-Unterlagen-Behörde verlängert worden. Nun soll es (zunächst?) bis 2019 so weitergehen, bis die Akten ins Bundesarchiv kommen, wobei die Zugangs- und Veröffentlichungsbedingungen neu genau zu klären wären. Was nämlich unter grober Verletzung aller Persönlichkeitsrechte ermittelt worden ist, darf heute nicht noch einmal eingesetzt werden.
    Und der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz sollten endlich auch die teilungsbedingten Akten aus dem Kalten Krieg der Öffentlichkeit (mit entsprechender Nennung der Namen) zugänglich machen, damit wir zu einer Analyse der Gesamtzusammenhänge im Kalten Krieg gelangen können. Alles andere befördert Siegermentalität. Dazu gehört sicher auch eine Erinnerung daran, dass der BND als Vorläuferinstitution die »Organisation Gehlen« hatte, die von hohen Nazis und SS-Offizieren durchsetzt gewesen war.
    Der weitere Umgang mit der Vergangenheit des kleineren, schließlich politisch und ökonomisch zusammengebrochenen deutschen Nachkriegsstaates sollte Differenzierung anstreben, nicht Generalisierung, denn das Leben in der DDRlässt sich nicht auf Stasi, Doping, SED reduzieren. Das Alltagsleben war das eine, die Ideologie und die mit diffizilem Druck erfolgte »gesellschaftliche Mitarbeit« das andere. Die vielgestaltige Indoktrination muss ebenso in den Blick kommen wie die Militarisierung des Denkens. Daneben sind die kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Leistungen, der Sport, die Kinderbetreuung und Familienförderung mit in den Blick zu

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