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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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SYNODEN ALS ÜBUNGSFELDER DER DEMOKRATIE
    Die Synoden waren Parlamente und Foren der evangelischen Kirchen, auf denen in der DDR-Öffentlichkeit tabuisierte oder verzerrt dargestellte Sachverhalte und unterdrückte Wahrheiten offen diskutiert wurden. Den einen waren die Synoden zu politisch, den anderen zu wenig politisch. Natürlich erörterten wir vorrangig unsere theologischen, geistlichen und organisatorischen Belange. Der jährliche Bericht der Kirchenleitung nahm stets auf drängende politische Vorgänge Bezug und wurde anschließend zum Teil heftig diskutiert. Seit 1969 stand immer neu zur Debatte, was »Kirche im Sozialismus« praktisch bedeutete: weder gegen noch neben der Gesellschaft zu agieren, sondern in kritischer Solidarität unsere Verantwortung am jeweiligen Lebensort wahrzunehmen. Den einen ging es eher um das Kritische, den anderen mehr um die Solidarität, aber alle stimmten darin überein, sich dem Sozialismus als Ideologie und als »Diktatur des Proletariats« nicht unterzuordnen.
    Unsere evangelischen Kirchen funktionierten wie ein demokratisches Parlament. Vom Gemeindekirchenrat bis zur Kirchenleitung wurde gewählt. Zur Synode wurden zwei Staatsvertreter eingeladen, sie sollten sich ein eigenes Bild machen können und nicht auf Stasizuträger oder die Westpresse angewiesen sein. Man hat sie in der ersten Reihe platziert, damit sie »nicht alles immer im Blick haben« konnten. Zu den Ausschüssen hatten die Herren keinen Zugang. Ich fand ihre Anwesenheit im Plenum befremdlich und trat meist mit trockenem Mund zur Generalaussprache über den Kirchenleitungsbericht, in dem es auch um politisch-ethische Fragen ging, ans Mikrofon.
    Auf der Naumburger Synode im November 1980 wurde wieder einmal über die Pressionen debattiert, denen junge Christen ausgesetzt waren, sofern sie nicht an der Jugendweiheteilnahmen. Ich wies auf den Widerspruch zwischen dem Gelöbnis, das den Einzelnen öffentlich-feierlich auf den politischen Atheismus verpflichtet, und dem achten Gebot hin: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden. Unterwerfung unter das Wahrheitsmonopol der Partei per Gelöbnis hielt ich für unvereinbar mit den Grundgebot der Wahrhaftigkeit untereinander und in den gesellschaftlichen Beziehungen. Widerstand gegen solche Bevormundung war für mich eine Frage der Ethik. Zugleich unterschlug ich nicht, dass das (apostolische) Bekenntnis, das wir Vierzehnjährigen zur Konfirmation abverlangten, ebenfalls wenig persönliche Deckung fand. Einige Synodale meinten, man könne die »Bekenntnisse« nicht vergleichen, das erste Gebot, »keine anderen Götter« zu haben, bleibe das Entscheidende und Unterscheidende. Ich erinnere mich meiner Erleichterung darüber, dass ich die Doppelzüngigkeit von öffentlicher und privater Meinung ansprechen konnte. Für mich war entscheidend, ob ich mich zu sagen traute, was ich dachte, und nicht, ob ich Zustimmung bekam oder nicht.
    Die Synoden waren zugleich Ersatzforen. Wir hofften geradezu auf die (geheimen) Berichterstatter, die unsere politischen Botschaften an die Staatsmacht weiterleiteten. Und wir hielten buchstäblich »Fensterreden«, die unseren Gemeinden Mut machen sollten, sich mehr zu trauen, den obwaltenden Ängsten »Gute Nacht!« zu sagen. Da die DDR-Einheitspresse alles zudeckte, was sich nicht mit dem sozialistischen Optimismus zur Deckung bringen ließ, wollten wir, dass die Westjournalisten unsere Botschaften – korrekt, nicht überdreht! – aufgriffen und via Rundfunk in die DDR zurückleiteten.
    Nach der Synode vom November 1981, auf der die offizielle Berichterstattung über Polen thematisiert worden war, meldete sich Herr Voigt, Abteilungsleiter für Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Halle, zusammen mit Herrn Probstvom Rat des Kreises zu einem Gespräch in meiner Wohnung an. Inzwischen hatte man in Polen das Kriegsrecht verhängt. Wie häufig nach solchen »Aussprachen«, schrieb ich ein Gedächtnisprotokoll.
    Auf der Bundessynode im September 1982 in Halle herrschte ein anderer Ton als auf unserer Provinzialsynode, die mich delegiert hatte. Ich nahm in meinem etwa halbstündigen(!) Diskussionsbeitrag zum Bericht der Kirchenleitungen Stellung. Darin habe ich die NVA mit Landsknechten verglichen, den Verteidigungsminister direkt angegriffen, für den weiteren öffentlichen Gebrauch des Aufnähers »Schwerter zu Pflugscharen« plädiert, gegen Atomkriegsübungen polemisiert und die Zufriedenheit der Bürger den besten Schutz des Landes genannt. Dafür

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