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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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erntete ich – begreiflicherweise – Unmut. Danach war die Atmosphäre eisig. Ich fühlte mich isoliert. Einige wenige pflichteten mir in der Pause bei.
    Abendandacht mit dem Vikarskurs in der Kapelle des Schwarzen Klosters (Augusteum) in Wittenberg 1979. (Dieses Foto eines polnischen Freundes fand ich in meinen Stasiakten.)
    Peter Merseburger sendete am 10. Oktober in »Panorama« einen Ausschnitt aus meinem Beitrag. Erich Mielke war elektrisiert. Von nun an kannte mich dieser gefährliche Kleinwildjäger. Nun begann eine neue Stufe der Überwachung, Disziplinierung und Zersetzung. Dennoch ließ mich das Staatssekretariat für Kirchenfragen Anfang Oktober 1982 erstmals zu einer Fachkonferenz in den Westen fahren.
    Am 2. November belehrte mich Voigt in meiner Wohnung im Beisein des Kirchenvertreters auf der Kreisebene sowie von Propst Hans Treu, der auf meinen Wunsch hin zugegen war, über die politische Lage und die Auswirkungen des Kanzlerwechsels in Bonn. Die Kirche könnte benutzt werden als Vorwand für eine Konfrontationspolitik, die in die DDR einwirkt. Das Verhältnis Staat – Kirche »vertrage« keine Meinungsverschiedenheiten bzw. Ansichten wie die von mir auf der Synode vertretenen. Dann hörte sich Herr Voigt – eifrig mitschreibend – an, was ich entgegnete. Ich war nicht auf Konfrontation aus, mir ging es um Veränderungen.
    Nach einer anderen Synode war ich geradezu erfreut darüber, dass sowohl der Genosse Voigt als auch der Korrespondent des EPD Hans-Jürgen Röder wörtliche Zitate aus meinem Plenumsbeitrag zu Friedensfragen haben wollten. Voigt ging es vor allem um ein Epigramm von Zvonko Plepelic, das meine Intentionen bündelte (und Eingang in meine Friedenspreisrede 1993 finden sollte). Ja, an Genauigkeit lag mir!

    zeug das Kind
pflanz den Baum
bau das Haus
zerbrich das Gewehr
und
sag es weiter. 64

    In der äußerst angespannten Situation vor der Synode in Dessau im September 1988 hatten die kirchlichen Verantwortlichen auf Druck der »Organe« akzeptiert, dass im Synodenplenum »zur Vermeidung von Provokationen« keine Westkameras und keine Rundfunkmikrofone zugelassen wurden. Wieder einmal hatte der Staat die Kirchenoberen erpresserisch als verlängerten Arm der Zensur benutzt.
    In der damaligen Plenumsdiskussion über den Kirchenleitungsbericht äußerte ich mich zur Reise-, Medien- und Umweltproblematik. Ich wollte gehört werden, auch von der staatlichen Seite, verwies daher auf positive Entwicklungen. »Rückkehrenden Bürgern wird manchmal schmerzlich bewusst, wie ergraut die 39-jährige Republik schon ist. Auch wenn die Reisenden hinter die farbige Glitzerwand des Westens gesehen haben und über manches ernüchtert zurückkehren, wird ihnen bewusst, dass uns mehr Farbe und Farbigkeit des Lebens gut-, ja nottäte … das Bedürfnis nach Blumen im Mai, Gemüse im Juli, gastlichen Gaststätten wächst ebenso wie die Erwartung, dass wir gegen die Einförmigkeit einen pluralistischen Sozialismus, ein sozialistisches Probierverhalten auch in der Schule entwickeln … Gereiste werden mündiger, tun den Mund auf für eine Veränderung, die mehr Lust macht, hier zu leben und zu wirken … Wenn sich in der DDR nichts ändert, wird sich an der Ausreiseproblematik nichts ändern. Wenn alles so bleibt, wie es ist, wird das Bleiben oder Nichtbleiben für allzu viele zur untergründig mitlaufenden Dauerfrage.«
    Ich erntete Beifall, aber auch Widerspruch aus »höherem Munde«.
    Im Februar 1989 machten uns die Polen mit dem Runden Tisch vor, wie eine zivilisierte Ablösung der kommunistischen Einparteienherrschaft vor sich gehen könnte. Die Abschlusspapiereder Ökumenischen Versammlung vom 30. April 1989 in Dresden machten Hoffnung, die blutige Niederschlagung des Studentenaufstandes in China dagegen machte uns Angst. Rolf Henrichs im April erschienenes Buch »Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real existierenden Sozialismus« signalisierte, dass sich in der Partei einige aus der Deckung wagten und nicht mehr – wie elf Jahre zuvor Rudolf Bahro – einfach wegen »Geheimnisverrats« eingesperrt wurden.
    Die Synode Mitte September 1989 fiel in die Zeit des enormen Ausreisedrucks und der täglichen Zuspitzungen. Ich spürte: Wir gehen einem Herbst der Entscheidung entgegen. So oder so. Gedankenfreiheit wurde Redefreiheit. Und doch weiß ich um das Herzflattern und um den trockenen Mund bei vielen und bei mir selbst, als ich auf der Synode in Eisenach sinngemäß »draußen« vor

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