Klar sehen und doch hoffen
neue Glaubensbekenntnisse formuliert, die ich aus vollem Herzen und mit ganzem Verstand mitsprechen konnte und kann.
Mein Glaube ist Beziehung und Erfahrung. Er besteht nicht mehr im erwarteten Für-wahr-Halten von etwas Unglaublichem wie der wundersamen Jungfrauengeburt oder dem Auffahren in einen Himmel. In dem im Jahre 325 von Kaiser Konstantin durchgesetzten Glaubensbekenntnis, dem sogenannten Nicaenum, kommt kein Wort von dem Gott vor, der liebend sich zuwendet, der tröstet, geleitet und orientiert, der in seinem Gesandten zum Heiland der Seelen und der Welt geworden ist und der in mir und unter uns wirkt und wird. Glaube ist für mich ein Beistandsversprechen. »Siehe, ich bin bei euch, alle Tage, bis an der Welt Ende.« (Matthäus 28, 20)
Ich glaube eine Friedens-, Gerechtigkeits- und Glücksverheißung. »Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. … In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.« (Johannes 14,27; 16,33)
Ich lebe von einer und in einer Bewahrungsgewissheit. »Der Herr ist mein Hirte …, und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir.« (Psalm 23)
Ich lebe und widerstehe in einer Hoffnung, gegen allen Augenschein. Sperare contra spem! »Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung …« (Römer 8,24)
Ich vertraue einem unbedingten Versprechen: Du bist angenommen, wie du bist. Und du musst nicht bleiben, wie du bist. In dir ist mehr, als du von dir denkst und erfassen kannst.
Ich glaube einem Glücksversprechen. »Glückselig sind, die reinen Herzens sind … (Matthäus 5, 3 – 10)
Ich glaube bei allen Zweifeln und im Verzweifeln, schreie auch mit Hiob und mit dem Beter des 22. Psalms: »Warum hast du mich verlassen?«
Ich staune über die Wunder des Lebens und kann gar nicht aufhören zu staunen, mich zu wundern, zu danken, das Leben zu preisen. Ich genieße das Leben im Vollbesitz meiner Sinne. Beim Teilen von Brot und Wein, beim Graben und Säen, Arbeiten und Lieben, Tanzen und Küssen, Sprechen und Hören, Schreiben und Malen, Essen und Trinken.
Ich halte nichts von Dogmen und Ausschließlichkeitspostulaten und kann doch aus ganzem Herzen singen: »Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn alle Zeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.«
Der Theologe Paul Tillich schrieb 1950 in seinen Reflexionen über »Die Botschaft der Religion«, » die gewöhnliche Frage:›Was sollen wir tun?‹ muss mit der ungewöhnlichen Frage: ›Von wo empfangen wir etwas?‹ beantwortet werden«. Die Menschen müssten wieder verstehen lernen, dass man nicht viel geben könne, wenn man nicht viel empfangen habe. Die Religion sei in erster Linie eine geöffnete Hand, eine Gabe entgegenzunehmen, und erst in zweiter Linie eine tätige Hand, Gaben auszuteilen. Es sei nicht unsere Aufgabe, eine religiöse Sondersphäre zu betreten und uns in ihr einzunisten. »Die vertikale Linie muss dynamisch werden und sich in der Horizontalen verwirklichen. Die Haltung des ›trotzdem‹ muss die treibende Kraft sein zu allem Handeln im ›wofür‹.« 63
Das Trotzdem und das Wofür erkennen und erfüllen – solch vertikaler und horizontaler Glaube leuchtet mir ein. Er erleuchtet, bestärkt und verpflichtet mich.
Ein Glaubenskondensat in einem Credo, das die befreiende und gefährliche Botschaft des Jesus aus Nazareth übergeht und nur ein Für-wahr-Halten von Heilstatsachen in den Mittelpunkt rückt, verfehlt nach meiner Überzeugung das, worauf es im christlichen Glauben ankommt: auf das Lebensgeheimnis VERTRAUEN.
Unvergesslich ist für mich ein Gespräch mit meinem Bischof Werner Krusche 1969 im Rahmen der Ordinationsrüste. Ich schilderte ihm meine Vorbehalte und sagte, dass ich das alte Ordinationsversprechen nicht abgeben könne, z. B. Artikel XVI der Augsburgischen Konfession mit seiner Staatsunterwerfung oder mit dem Gemeindebild, das nicht das Priestertum aller Gläubigen enthält, sei für mich inakzeptabel. Der Bischof versprach mir und anderen Vikaren, dass ein neuer Text formuliert würde. Und so geschah es. Ich wurde in den Ausschuss berufen, der den Entwurf erarbeiten sollte. Das ist Kirche, wie ich sie mir vorstelle: eine Glaubens- und eine Lerngemeinschaft, die Ehrlichkeit einschließt.
Auch mit der Art, wie wir das Abendmahl feiern, kann ichschon lange nicht mehr einverstanden sein, da dort nicht Jesu
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