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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Überschriften werden zu Hinguckern. Die Experten versichern uns: »Eure Ware ist very important. Ihr habt eine so tolle Message – aber das Outfit ist einfach noch suboptimal! Lasst euch professionell beraten.« Knackige Workshops werden die Kundenbindung erhöhen. Wartet nur, balde … Powerpointpräsentationen steigern das Image enorm; die Contents, Facts und Essentials werden herausgehoben, um eine operative Relevanz »outzuputten«.
    Professionelle Beratertanks führen zu einer Workflow-Optimierung. Fundraiser zeigen uns, wo verborgene Geldquellen liegen und wie sie sprudeln – wenn wir nur tun, was der Fundraiser rät. Einschmeichelndes Abzocken. Kundenpflege: das weich anmutende Lügenwort für immer aggressiver werdenden Menschenmissbrauch. Wie cool! (Und beinahe jeder übernimmt allmählich die wohlfeilen Sprechblasen und findet sich unversehens im vorherrschenden Sloganismus. Auch ich ertappe mich dabei – und erblasse.)
    Schon sind ganze Generationen an den PC angeschlossen wie an Herz-Lungen-Maschinen. Körper verflüchtigen sich ins Digitale. Der Schriftsteller Botho Strauß schrieb, sie könnten auf ihren Tastaturen alle Katastrophen und Tragödien nach- und vorspielen, »nur die Tränen fehlen ihnen«. Recherchierend, kopierend, figurierend, downloadend, googelnd wird Welt hereingeholt, doch wirkliches Empfangen ist unbekannt geworden. Wissen und Müll ringen um Austauschbarkeit. Es wird nicht mehr gedacht, es wird abgerufen. So verliert auch das Fragmentarische, das Lückenhafte, das Umständliche, aber Unverwechselbare des eigenen, frischen Gedankens seinen Zauber. Es hat geklickt, sagte man einst und bezeichnete so die Freude über eine Idee, eine Erkenntnis, eine Einsicht. Heute regelt alles der Mausklick.
    Gewiss übertreibe ich. Aber über die Vorteile modernster Technik muss weniger geredet werden als über die Gefährdung durch technologischen Überfluss. Zwischen Menschen sind immer mehr Apparate geschaltet. Was verbinden soll, isoliert, die Einsamkeiten vor zuckenden Bildschirmen nehmen zu und wiegen die »User« in der Illusion, dies sei Bewegungsfreiheit und Weltteilhabe. So wird leicht und massenhaft übersehen: Das, was so frappierend neu erscheint, könnte sich eines absehbaren Tages als etwas ganz Abgeklappertes oder als gänzlich Leeres erweisen. Und dann?
    Der Kirche jedenfalls steht es nicht gut an, mit dem Modeund Finanzmarktdenken mithalten zu wollen. Es gilt doch nicht das Neue um jeden Preis! Es geht ums Heutigwerden unserer Botschaft und die stete Suche nach den angemessenen Mitteln, diese Heutigkeit zu offenbaren. Altbewährt und neu gewagt, das bleiben die beweglichen Pole der Annäherung. Und um Sprache geht es, darum, sie vor dem Frontalen der neuzeitlichen Konsumentenfeldzüge zu bewahren. Deutsche Sprache: unsere Schöne. Und noch mehr: Unsere Sprache ist die Scheide des Heiligen Geistes. Wenigstens des Geistes, wenn schon nicht des heiligen!
FÜR JEDEN TAG EIN GUTES WORT
    Jeden Morgen kommt mir die Zeitung ins Haus. Jeden Tag eine neue Schlagzeile. So viele Katastrophen und Skandale, Niederlagen und Siege, Informationen, vermischt mit Sensationen, Wahlen und Zahlen, Personen und Programme. Alle Probleme der nahen und fernen Welt stürzen allmorgendlich auf mich ein: Mein Gott!, möchte ich jeden Tag ausrufen, kopfschüttelnd, verwirrt, klagend, überrascht, verwundert – erleichtert auch. »Gute neue Zeitung«, nennt Luther das Evangelium. Also lese ich vor der Zeitung die biblische Tageslosung – gute neue Nachricht, jeden Tag. Es sind alte, aber merkwürdig unverbrauchte Worte, darunter dunkle, zum Widerspruch reizende und solche, die ich ungern höre, weil ich mein Leben ändern müsste. Beschädigt sind die Worte durch uns, missverstanden und missbraucht und doch unversehrt geblieben. Befreiende und bestürzende Wahrheit tritt mir entgegen. Mein Gott! Unser Vater im Himmel! Wessen Wille geschieht, was ist mir heilig, wessen Herrschaft gilt, wem fehlt das tägliche Brot und wer hat zu viel, wie, wo undwem gegenüber werde ich schuldig oder bleibe etwas schuldig, warum ist Vergebung so schwer und: Gibt es eine Erlösung vom Bösen?
    Jeden Tag einen Moment innehalten. Das aber ganz. Mich einem mir befremdlich vorkommenden Text gegenübersehen, mich hineinfinden, mir selbst näherkommen und anderen ebenso. Das Zeitlose kommt aus dem Zeitlichen und tritt wieder ins Zeitliche. In mein vergängliches Leben, mir aufgehoben, mich aufhebend. »Es sollen wohl Berge weichen

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