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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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arbeiten, um zu leben. Die Arbeit eines jeden zu achten, auch den Menschen anzuerkennen, der sie tut, das hat mich mein Vater gelehrt, und daran möchte ich festhalten. Das hat mit Respekt füreinander und Dankbarkeit gegeneinander zu tun. Mich überzeugt, was Oskar Negt in seinem Buch »Arbeit und menschliche Würde« im Blick auf die abgewickelten Ostdeutschen schreibt.
    Wie tief Entfremdung zwischen den verschiedenen Lebenswelten in der DDR gehen konnte, illustriert für mich eine unvergessliche Erinnerung. Mein zehnjähriger Sohn Martin fragte eines Tages geradezu flehentlich: »Vati, warum arbeitest du nicht auch auf Stickstoff?« Wie sollte er seinen Mitschülern erklären, was ich als Pfarrer tue und was das überhaupt ist, ein Pfarrer.
    Mit der Arbeit stellt sich die Frage nach dem Sinn, nach dem Wofür, nicht nur nach dem Wovon des Lebens. Vergänglichkeit kann nie ausgeblendet bleiben. Also sagte ich mir: Denk bei allem, was du tust, vorhast, erlebst, erleidest, schaffst, sorgst, wo du dich freust oder wo du untröstlich bist, denk bei allem an dein Vergehen, an deine Kreatürlichkeit; denn dann wird dir die Zeit wichtig, die dir für ein sinnvolles Tätigsein gegeben ist. Du wirst einmal, vielleicht schon sehr bald, loslassen müssen. Welch eine Gnade, wenn Traurigkeit in getröstete Gelassenheit übergeht und zur Weisheit wird. Nur wer sich seiner Vergänglichkeit bewusst ist, kann die Tiefe jedes Moments und wirklichen Glücks erfahren. Durch Tätigkeit. Durch Muße.
    »Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh: Wie dieses stirbt, so stirbt er auch … Da sah ich, dass nichts Besseres ist, denn dass der Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil. Denn wer will ihn dahin bringen, dass er sehe, was nach ihm geschehen wird?« (Vgl. Prediger Salomo 3, 19 ff.) Tröstlich und traurig: Alle Lebewesen, ob Mensch oderTier, sind Kreaturen, die den gleichen Gesetzen der Vergänglichkeit unterworfen sind: Dem Menschen – dir! – ergeht es wie dem Vieh. Er wird heruntergeholt vom Sockel seiner Besonderheit. Am Ende des Lebens haucht er seinen Atem aus. Er wird verwesen wie das Tier und wieder zu Erde werden. Wer dies nicht wahrhaben will oder leugnet, unterliegt der Illusion und betrügt sich in seiner Eitelkeit selbst.
    Fährt der Geist des Menschen im Unterschied zum Lebensatem des Tieres aufwärts, während die Lebensgeister des Tieres hinabfahren? Erfährt der Mensch Gnade, Erlösung im Gegensatz zum Tier? Davon schweigt dieser Text. Doch welche Schlussfolgerung lässt er zu? Nicht die große Depression, nicht das tägliche Hadern mit dem Tode, sondern das »Carpe diem!« angesichts des »Memento mori«. Was heißt carpe diem? Es heißt, fröhlich zu sein bei seinem Tun, fröhlich zu sein in seiner Arbeit. Es ist nicht »die Arbeit« in unserem verengten Sinn, die Erwerbsarbeit im Unterschied zur arbeitsfreien, der sogenannten Frei-Zeit, sondern die Lebenstätigkeit, die Aktivität des Menschen überhaupt, die Vita activa, die Betätigung, in der er Bestätigung und sich selbst wiederfindet: also die Aufgabe, die Beschäftigung, die Dienstleistung, die Handlung, die Pflicht, die Tat, das Unternehmen, das Werk, das Bestreben, die Hilfe, die Mühe, die Besorgung, das Nach-Denken, das Kopfzerbrechen, die Last, die Mühsal, der Beruf, das Amt, das Arbeitsfeld, der Broterwerb, der Dienst, der Job, die Existenz, das Fach, das Gewerbe, die Stellung, die Plage, die Schwierigkeit, die Schinderei, die Strapaze, die Dienstpflicht, die schöpferische Leistung, die (abrechenbare) Leistung, sich zu schaffen machen. Ja, fröhlich zu sein in seinem Tun, in allem Tun, was lebensförderlich, lebensdienlich, lebenserhaltend und lebensnotwendig ist. So vermittelt sich Lebenssinn.
    Fröhlich zu sein beim Wenden des Heus, beim Stillen desKindes, beim Erzählen der Geschichte, beim Lernen des Gedichtes, beim Zapfen des Bieres, beim Bedienen des Gastes, beim Sammeln der Kollekte, beim Erklären des Koordinatensystems, beim Tragen eines Verletzten, beim Kartoffelschälen, beim Umgraben des Gartens, beim Säen des Weizens, bei der Ernte der Kirschen, beim Malen des Bildes, beim Backen des Brotes, beim Keltern des Weines, beim Pressen des Olivenöls, beim Steuern des Krans, beim Hobeln des Brettes, beim Schreiben des Stücks, beim Nähen des Rocks, beim Aufpumpen des Reifens, beim Installieren des Telefons, beim Sägen des Birkenstammes, beim Pflanzen des Rosenstockes. Das ist »das Tun« und nicht die Einengung auf

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