Klar sehen und doch hoffen
und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen.« (Jesaja 54,10)
Ein Gespür behalten für Luthers Bibel-Sprache und des Genitivs mächtig bleiben.
»Martin Luther hat die deutsche Vereinigung durch Sprache geschaffen, so klar, so poetisch, so verständlich, so hintergründig, so einprägsam. Er ist nicht der Schöpfer der deutschen Sprache; er hat vielmehr den Schatz, der in der deutschen Sprache steckte, gehoben. ...
Unsere Sprachverkümmerung sagt etwas über unsere eigene Verkümmerung.
Das Schöne und das Zutreffende, das Verständliche und doch nicht Banale finden! ...
Einige Jahrzehntelang hatten wir geglaubt, wir müssten verständlicher reden und die Luthersprache sei den Menschen kaum mehr zugänglich. Das stimmt wohl. Aber wir haben die Aufgabe, sie zugänglich zu machen, statt die Bibel so aufzubereiten, dass sie auf Bildzeitungsniveau kommt, schlag-artig und schreiend wird.
Es bleibt eine Aufgabe der Kirche, sprachpflegend zu wirken.« 70
DIE HOFFNUNG LÄSST NICHT ZUSCHANDEN WERDEN
FRÖHLICH SEIN BEI SEINER ARBEIT
Wenn ich darüber nachdenke, seit wann meine Tätigkeiten nicht mehr Spielfreude und schöner Zeitvertreib waren, sondern Arbeit, dann kam das Anstrengende, das Verpflichtende, das Harte und Öde dazu. Das Schönste an der Arbeit ist ihr hurtiger Beginn und ihr endliches Ende. Keine Arbeit ohne Entfremdendes, Mühseliges, ohne Schweiß, ohne zu verzweifeln beim Misslingen, ohne »sinnlose« Routine. Für mich war Arbeit dann schön, wenn das Ziel in Reichweite lag. Oder wenn ich sehen konnte, was wir geleistet hatten, und wenn das Geleistete zu genießen war – also wenn unser kleines, mir damals sehr groß vorkommendes Kartoffelfeld endlich abgeerntet, die Kartoffeln in den Keller geschleppt worden waren.
Arbeit, das hieß, unseren großen Pfarrgarten umgraben, 60 Tomatenpflanzen einbringen. Sie wurden in jedem Jahr in die gleiche besonnte Ecke gesetzt – jedes Jahr aufs Neue mit Mist unter den Wurzelballen ‒, dann hieß es gießen, gießen, gießen. Das Wasser schleppte ich in Kannen vom 100 m entfernten Hof heran. Selbst das »Ausknipsen« der vielen Tomatenstauden war harte Arbeit, denn von einem bestimmten Zeitpunkt an war das anstrengend und lästig. Aber wie schmeckten dann die roten Bälle mit dem Tomatenpflanzenduft. Naschen als Lebensglück! Das Rübenhacken und -verziehen bei den Bauern, oft in drückender Hitze, kniend auf lehmharter Erde, war eine Plackerei. Aber dann die Pause mit Leberwurstbroten und bei sinkender Sonne die Auszahlungdes Geldes nach getaner Arbeit. Ohne Fleiß kein Preis, das sagt sich so hin. Doch es stimmt auch. Von daher rührt meine Empfindung und Erfahrung, dass Arbeit Sinnerfüllung, Mühsal und Entfremdung zugleich ist. Ohne Erfüllung ist sie bloß leere Routine oder – wie man im Halleschen sagt – Klääche.
Auf dem Güterbahnhof zu den politischen Feiertagen nächtens arbeiten zu müssen, das war keine Befriedigung, jedoch zur Aufbesserung meines Stipendiums nötig. Auch das Schleppen von Säcken mit ungeröstetem Kaffee in der Kaffeebude war nur Schufterei für Geld. Beim Kellnern war es schon anders. Da hatte ich mit Menschen zu tun und sah, wie ihnen das Bier schmeckt, wie sie sich mit dem Schnaps zuprosten und wie sie begierig die Bratkartoffeln, die ich ihnen gebracht hatte, essen.
Zur Arbeit gehört jenes selige Geschafft-Sein, nachdem man etwas geschafft hat. Welch einen Schreck aber bekam ich und wie dankbar war ich für meinen Beruf, als ich eine Fischfabrik in Wilhelmshaven besuchte, ein Motorenwerk mit Taktstraße in Nürnberg oder das nagelneue Tetra-Pak-Werk in Wittenberg, zu dessen Produktionsstart man mich bat, die Eröffnungsrede zu halten. Unvergesslich die Bilder von den Frauen zu DDR-Zeiten in der riesigen ZBE, die Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat am Fließband saßen und Kartoffeln aussortierten. Hatte ich es da gut! Der UTP (Unterrichtstag in der Produktion) war oft eine Farce. Trotzdem möchte ich ihn nicht missen. Er war eine Erfahrung fürs Leben und lehrte, auch einfache Arbeit wertzuschätzen. Dadurch wurde ich sensibilisiert für die Abneigung derer, die mit ihren Händen arbeiten, gegenüber denen, die an Schreibtischen sitzen.
Der für das Wohl der Gesellschaft im Kollektiv arbeitende Mensch war das Idealbild der sozialistischen Gesellschaft. Aber Arbeit ist nicht das Leben. Wir leben nicht, um zu arbeiten,sondern
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