Klar sehen und doch hoffen
Stürmen aller Feinde frei. / Lass den Satan wettern, lass die Welt erzittern, mir steht Jesus bei. /…/ Tobe, Welt, und springe; ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh. /…/ Erd und Abgrund muss verstummen, / ob sie noch so brummen. /… Weicht, ihr Trauergeister …« 11 Das hat Kraft, das gibt Kraft.
Ich las Dietrich Bonhoeffers »Gefängnistagebuch«, und ich fand bei Fontane anstifterische Imperative: »Tritt ein für deines Herzens Meinung / Und fürchte nicht der Feinde Spott, / Bekämpfe mutig die Verneinung, / So du den Glauben hast an Gott.«
Solchen protestantischen Widerspruchs- und Widerstandsgeist lernte ich auch zu Hause, allerdings als Teil einer verschwindenden Minderheit, politisch stets beargwöhnt und als eine 5. Kolonne der imperialistischen BRD abgestempelt. In meiner Kirche war mir vieles von Jugend an fremd gewesen und fremd geblieben. Sowohl was die Inhalte als auch was die Formen anlangte. Nicht zuletzt deshalb habe ich Theologiestudiert: um für mich zu klären, was an den Vorwürfen dran und was der Kern der Botschaft des Christentums sei und wie man mit Tradition auch anders umgehen könne. Ich wollte mich in dieser mir weithin feindlich gesinnten Welt meiner Haut mit guten Argumenten wehren können. Ich wollte der atheistisch-aggressiven Macht etwas entgegensetzen und dem vordergründigen Herrschaftspathos, das immer zugleich eine atheistische Stoßrichtung bei der Befreiung von jeglicher Knechtschaft hatte. Die geschlossene Ideologie der SED faszinierte mehr Leute und »überzeugte« mehr Ostbürger, als sich das heute zugestehen mögen. Das Belächeltwerden, der ständige Rechtfertigungsdruck, das Alleinstehen, das Benachteiligtsein hat bei vielen jungen Leuten in der DDR tiefe Verletzungen hinterlassen, die aus bewusst christlichen Elternhäusern gekommen waren und Konsequenzen zu tragen hatten. Nicht selten bricht nachträglich unterdrückte Wut auf, die mit Wucht auch neurotische Fixierungen nach rückwärts auslösen kann.
Kirche war und ist in der Tat eine Hüterin von Tradition und wird nicht vorgestrig, sofern sie Tradition als Sprungbrett in die Zukunft und nicht als ein Sofa des Verflossenen versteht. Tradition ist – wohlverstanden – der Gewinn von Zukunft unter Zuhilfenahme der Erfahrung aus Vergangenheit. Tradition zu bewahren heißt eben nicht, Asche zu verwahren, sondern die Glut unter der Asche zu erhalten, ja ein Feuer am Brennen zu halten, das erleuchtet und wärmt.
Ich erlebte aber als Vierzehnjähriger auch das Versagen der Theologie und der kirchlichen Amtsträger beim Generalangriff auf Bibel und Kirche. Wir waren dem antikirchlich atheistischen Propagandafeldzug nicht gewachsen, z. B. bei der Konstruktion einer schroffen Alternative zwischen göttlicher Schöpfung oder natürlicher Evolution, zwischen der Abstammung von »Adam« als Gottes Geschöpf und Ebenbildoder von den höheren Primaten. Adam oder Affe – das war hier die Frage. Darwin wurde erfolgreich gegen die Kirche in Stellung gebracht. Glaube stand fortan gegen Vernunft. Wie kann man als Denkender glauben und als Glaubender das Denken nicht aufgeben? Diese Frage trieb mich um, solange ich denken kann.
Seit 1965 gab es »Druck von unten« für eine Studienreform des Theologiestudiums. Dafür machten wir Studenten – völlig unerlaubt – Meinungsumfragen und werteten sie aus. Der neue Bischof, auf den wir große Hoffnung setzten, wurde 1968 in Magdeburg eingeführt. Er hatte 1967 in der Ulrichskirche in Halle einen Vortrag gehalten mit dem Titel »Die Reformation geht weiter«, und wir wollten, dass er die dort geäußerten Thesen auch als Bischof im kirchlichen Leben wirksam werden ließ, und fertigten ein grünes Transparent mit weißer Schrift. Darauf stand lediglich »Die Reformation geht doch weiter, Herr Bischof?«. Dies entrollten meine Schwester Renate und der damalige Biologiestudent Konrad Elmer während der Einzugszeremonie. Bischof Krusche berichtet in seinen Memoiren, wie allergisch die Staatsvertreter auf diesen kleinen »Zwischenfall« reagierten. Sie hatten einfach Angst, auch in der DDR würden Studenten aufmüpfig werden, und handelten stets nach der Maxime »Wehret den Anfängen!«.
Ich stand und stehe bei jeder Predigt vor der Frage, wie viel seelsorgerlicher Trost mit striktem Bezug auf die Bibel und die evangelische Tradition und wie viel »Unterscheidung der Geister« mit sozialpolitischem Bezug nötig sind, wie viel Rücksicht auf traditionell Glaubende ich nehmen
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