Klassentreffen (German Edition)
an ihrer Jeans ab. »Genau genommen geht es um das Thema Homosexualität.« Sie sprach so leise, dass es fast nur ein Flüstern war.
Nun war es Meike, die die Hitze in ihren Wangen spürte. Ausgerechnet dieses Thema! Sie bemühte sich, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. »Was möchtest du denn dazu noch wissen?«
»Wissen Sie, ich glaube, ich habe mich verliebt.« Jana schluckte. »In . . . in eine Mitschülerin.« Ihre Fingernägel gruben sich in ihre Handfläche.
Meike überlegte fieberhaft. Was sollte sie ihrer Schülerin jetzt sagen, das ihr helfen könnte? Dass sie selbst das Problem nur zu gut kannte? Das war wohl kaum eine Option. »Verliebtsein ist doch ein schönes Gefühl«, sagte sie stattdessen.
»Aber ich habe Angst, es ihr zu sagen. Wir sind gut befreundet.« In Janas Blick lag so viel Verzweiflung, dass Meike ihre Schülerin am liebsten in den Arm genommen hätte, um sie zu trösten. Wie bekannt ihr diese Situation vorkam – nur dass sie selbst damals die andere gewesen war.
»Das heißt, deine Herzdame weiß noch nichts von deinen Gefühlen.«
Jana schüttelte den Kopf. »Und ich habe auch keine Ahnung, was sie dazu sagen würde. Ich habe einfach Angst davor.«
»Ich kann dich verstehen«, erklärte Meike. Und wie gut sie Jana verstehen konnte! Sich als Frau in eine Frau zu verlieben, sich diese Gefühle einzugestehen und sie dann auch noch der anderen zu gestehen – sie selbst steckte ja noch mittendrin in diesem schwierigen Prozess. »Und ich finde es schon sehr mutig von dir, mir davon zu erzählen.« Damit, stellte sie fest, war ihre Schülerin schon einen Schritt weiter gegangen als sie selbst. »Wovor hast du denn Angst? Es ihr zu sagen? Vor ihrer Reaktion? Oder . . .« Sie hielt inne.
»Ich weiß nicht genau. Natürlich habe ich Angst davor, wie sie reagiert, wenn sie erfährt, dass ich . . .« Jana schluckte. Ihre Stimme zitterte, als sie weitersprach. »Dass ich vielleicht lesbisch bin. Und . . . was werden denn alle anderen dazu sagen?«
Meike wusste genau, was in Jana vorging. Es waren genau dieselben Fragen, die sie selbst unentwegt beschäftigten, und am liebsten hätte sie gerufen: Wem sagst du das!? Aber sie musste ihrer Schülerin Mut zusprechen. »Was könnte denn schlimmstenfalls passieren? Was bedrückt dich an diesen Gedanken am meisten?«
»Wenn mich die anderen dann nicht mehr mögen . . . Wenn sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollen? Und meine Eltern . . .« Jana kaute an einem Fingernagel. »Wie soll ich ihnen das nur jemals sagen?«
Meike rieb sich über den Nasenrücken. Auch das hätten ihre eigenen Worte sein können. Was würden ihre Freunde sagen? Würden sie sie abweisen? Was würde ihre Familie davon halten? Und vor allem, wie sollte sie es schaffen, sich bei ihnen zu outen? Ihrer Schülerin gegenüber fiel es ihr leicht, diese Bedenken zu entkräften: »Du bist doch noch die gleiche Jana wie vorher. Du hast dich doch nicht verändert. Deine Eltern werden dich noch genauso lieben wie bisher.« Aber sie musste sich auf die Lippe beißen. Was ihre eigenen Eltern betraf – würden sie das wirklich? Würde nicht eine Welt für sie zusammenbrechen? Würden sie sie nicht für eine Schande für die Familie halten und sie verstoßen? Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
Doch vor Jana durfte sie sich diese Sorgen auf keinen Fall anmerken lassen. Also holte sie noch einmal tief Luft. »Und wenn dich deine Mitschüler und Freunde nicht akzeptieren, wie du bist, dann sind sie ohnehin keine Freunde, und du kannst auf sie verzichten.«
»Aber ist das denn in Ordnung?« Jana zog ihre Stirn kraus. »Ich meine, ich bin doch ein Mädchen.«
Meike atmete schwer aus. Was sollte sie ihrer Schülerin darauf erwidern? »Weißt du, Liebe ist immer etwas Wunderschönes, egal, wen man liebt. Es wird bestimmt kein einfacher Weg. Aber wenn ihr euch liebt, werdet ihr das schaffen.« Meike nahm Janas Hand und drückte sie. »Auch wenn du lesbisch bist, ändert es doch nichts daran, dass du toll bist. Das darfst du nicht vergessen.«
Jana stieß hörbar die Luft aus. »Vielen Dank, Frau Jakobs.« Ein Lächeln huschte durch ihr Gesicht. Sie nahm ihren Rucksack. »Sie glauben gar nicht, wie sehr Sie mir weitergeholfen haben.«
»Keine Ursache. Und du kannst immer zu mir kommen, wenn du Probleme hast.«
»Das ist nett.« Damit war Jana verschwunden.
Meike packte in Ruhe ihre Sachen zusammen . Ihre eigenen Worte hallten in ihrem Kopf nach:
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