Klassentreffen
mit wem du früher so zusammen warst.« Ich lächle das schuldbewusste Lächeln einer eifersüchtigen Freundin.
Olaf entspannt sich. »Das hättest du doch auch mich fragen können«, sagt er.
»Stimmt«, gebe ich zu. »Bist du jetzt böse?«
Er streckt den Arm aus und zieht mich zu sich heran. Ich widersetze mich nicht, obwohl sein Blick hart ist. »War’s nett mit Bart?«, erkundigt er sich.
Ich halte seinem Blick stand. »Du meinst, beim Ehemaligentreffen?«, sage ich. »Ja, es war nett. Hat echt Spaß gemacht, die ganzen Leute wieder mal zu sehen.«
»Besonders lange bist du aber nicht geblieben«, sagt Olaf schneidend.
Ich weiß wirklich nicht, was ich darauf antworten soll. Warum soll ich überhaupt was sagen? Was geht ihn das eigentlich an?
»Du bist uns gefolgt«, sage ich genauso kühl wie er. »Stimmt doch, oder? Ich hab nämlich dein Auto gesehen. Warum hast du das gemacht?«
Er lässt mich los. Besser gesagt, er stößt mich von sich. »Weil ich nicht glauben konnte, dass du mit dem Kerl mitgehst.«
»Was spricht dagegen, dass ich mich mit einem alten Freund unterhalte? Wir haben einen Strandspaziergang gemacht, das war alles«, sage ich verärgert.
Sekundenlang ist es still. Wir sehen uns in die Augen, messen uns mit Blicken.
»Du hattest früher was mit dem, stimmt’s?«, sagt Olaf. »Robin hat mir mal davon erzählt. Und jetzt habt ihr euch wiedergesehen. Sehr romantisch! Aber den kannst du vergessen, Sabine, das ist dir doch wohl selbst klar. Was hat der Typ denn früher für dich getan, kannst du mir das mal sagen? Ihr seid miteinander gegangen, aber keiner durfte davon wissen. Wahre Liebe, dass ich nicht lache!« Er lacht hämisch.
»Bart hat es geheim gehalten, um mich vor der Clique zu schützen«, sage ich.
Olaf schnaubt verächtlich. »Weißt du, was mich beeindruckt hätte? Wenn er öffentlich dazu gestanden hätte, dass er dich mag. Wenn ihm die Meinung der anderen egal gewesen wäre, oder wenn er dafür gesorgt hätte, dass du in die Clique aufgenommen wirst. Das hätte er tun müssen. Ich hätte das jedenfalls getan.«
Ich glaube ihm. Ja, ich glaube ihm aufs Wort, dass er das gemacht hätte. Wir stehen uns gegenüber und sehen uns an. Jede Faser in mir will, dass er verschwindet, aber von wegen: Er latscht seelenruhig durch mein Wohnzimmer und trinkt in einem Zug sein Bier aus. Er knallt die leere Flasche auf die Kommode und rülpst. »Hast du noch eins da?«
Ich nicke und gehe in die Küche. Zitternd fummle ich mit dem Flaschenöffner herum. Ich höre Olaf hin und her gehen, auf und ab, immer wieder. Als ich durch den Türspalt linse, sehe ich ihn vor dem Anrufbeantworter stehen
und die Abhörtaste drücken. Zu meinem Entsetzen hallt Barts Stimme durch die Wohnung: »Hallo, meine Schöne. Ich wollte dir nur rasch sagen, wie sehr ich es genossen habe, heute Morgen neben dir aufzuwachen. Zu schade, dass es mit unserem gemeinsamen Sonntag nicht geklappt hat, aber das holen wir so bald wie möglich nach, ja? Du bist jetzt noch nicht zu Hause, ich melde mich später noch mal bei dir.«
Die Küsschen, die mir heute Mittag noch das Herz erwärmt haben, lassen mich jetzt erstarren, und ich verwünsche meinen sentimentalen Beschluss, die Nachricht zu speichern. Ich schleiche in den Flur und spähe ins Wohnzimmer. Olaf steht mit dem Rücken zu mir vor der Kommode. Er hat die Hände aufgestützt und den Kopf weit vorgebeugt, wie jemand, der größte Mühe hat, sich zu beherrschen. Erneut drückt er die Abhörtaste, und Bart sagt noch einmal, wie sehr er es genossen hat, heute Morgen neben mir aufzuwachen. Abrupt drückt Olaf die Stopptaste. Bart verstummt, und Olaf dreht sich um.
Ich schlüpfe ins Badezimmer und schließe hinter mir ab. Ich höre Olafs Schritte, er geht offenbar in die Küche.
»Wo bist du?«, fragt er ruhig, aber mit einem gefährlichen Beben in der Stimme.
Ich schlucke, reiße mich zusammen.
»Auf dem Klo!«, rufe ich. »Ich komme gleich, trink schon mal dein Bier!«
Er trinkt sein Bier nicht. Ich höre, wie die Flasche auf dem Küchenboden zerschellt und krümme mich zusammen. Das splitternde Glas macht grässlichen Lärm, aber als ich dann höre, dass er weitere Flaschen kaputt schlägt, jagen mir kalte Schauer über den Rücken.
Vorsichtig entriegle ich die Tür und luge um die Ecke. Olaf schleudert gerade einen Hocker durch die Scheibe der
Balkontür. Ich haste durch den Flur, schnappe mir meine Tasche aus dem Schlafzimmer und renne zur Wohnungstür.
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