Klassentreffen
im Auge. Mit jeder Viertelstunde, die verstreicht, wächst meine Verunsicherung. Ich rauche eine Zigarette nach der anderen, aber kein tobender Olaf erscheint.
Plötzlich klingelt mein Handy. Ich fahre vor Schreck hoch, stoße mir den Ellbogen an der Fensterbank, verbeiße mir den Schmerz und krame in meiner Tasche. Auf dem Display erscheint die Nummer meines Festnetzanschlusses. Ich nehme ab: »Ja?«
»Sabine, Olaf hier.« Seine Stimme klingt ruhig.
Ich sage nichts.
»Du kommst schon wieder«, sagt Olaf unbeirrt. »Ich warte hier, bis du kommst.«
»Spinnst du jetzt komplett? Wenn du morgen nicht weg bist, ruf ich die Polizei!«
»Dann komm ich dich jetzt holen. Wo bist du? Ach, lass nur, ich finde dich schon.«
Wütend stelle ich das Handy ab, brauche aber noch zwei Zigaretten, um mich wieder einigermaßen zu beruhigen. Der Typ ist völlig gestört!
Ich tappe zurück zum Bett, schlüpfe unter die Decke und unterdrücke den Wunsch, mich bei Jeanine anzukuscheln.
»So, jetzt will ich aber genau wissen, was passiert ist.« Jeanine stellt ein Tablett aufs Bett. Es duftet herrlich. Kaffee, ein weiches Ei und Toast mit Marmelade. Jeanine ist bereits fertig angezogen und geschminkt.
»Das ist aber lieb von dir!« Ich setze mich auf, schiebe das Kissen an die Wand und lehne mich dagegen.
»Du hast im Schlaf geredet. Olaf, hast du gesagt, und bitte nicht und Isabel.« Jeanine hockt sich auf die Bettkante. »Ich dachte, ich lass dich ausschlafen.«
Ich sehe, wie adrett und gepflegt sie vor mir sitzt. »Wie spät ist es denn?«
»Acht. Ich muss gleich zur Arbeit.«
»Ich auch«, sage ich. »Aber ich werd wohl eher nicht gehen.«
Ich greife in meine Tasche und gucke auf das Handy: keine neuen Nachrichten.
»Wie ist es nur so weit gekommen? Es lief doch ganz gut zwischen euch, oder?«, fragt Jeanine.
Beim Frühstücken erzähle ich ihr alles: von meinen Zweifeln, was die Beziehung mit Olaf angeht, von seiner Aufdringlichkeit, den vielen Mails und Anrufen, den Rosen in meiner Wohnung, von Bart, und wie Olaf gestern Abend auf einmal mit dem Reserveschlüssel in meine Wohnung kam. Ich erzähle von meinen Fahrten nach Den
Helder, davon, dass Olaf damals mit Isabel verabredet war, von Elines Erfahrungen mit ihm und von seinem Anruf heute Nacht.
»Das hätte ich nie von Olaf gedacht«, sagt Jeanine bestürzt. »Er hat dich echt geschlagen? Unglaublich …«
»Auf den ersten Blick wirkt er nett und charmant, aber er kann ziemlich gewalttätig werden«, sage ich.
»Aber daraus gleich zu schließen, dass er Isabel umgebracht hat … hmmm …« Jeanine guckt skeptisch und verspeist das Ei, auf das ich keinen Appetit habe.
»Isabel war bei den Dunklen Dünen mit ihm verabredet«, sage ich, den Mund voller Toast. »Nehmen wir mal an, die beiden haben sich an der Imbissbude getroffen. Sie gehen ein Stück in den Wald, und Isabel sagt ihm, dass sie Schluss machen will. Olaf dreht durch, schlägt sie, und sie rennt davon, weiter in den Wald hinein, aber er holt sie ein.«
»Sie könnte doch auch von einem Fremden überfallen worden sein. Im Wald und in den Dünen treibt sich allerhand Gesindel rum.«
»Das kann natürlich auch sein. Aber warum hat er mich dann angelogen, was seine Beziehung zu Isabel angeht, und warum hat er der Polizei damals nicht einfach gesagt, dass er an dem betreffenden Tag mit ihr verabredet war?«
»Hast du ihn das denn nicht gefragt?«
»Ich hab mich nicht getraut. Wenn er wirklich gewalttätig ist und Isabels Verschwinden auf sein Konto geht …«
»Hmmm«, macht Jeanine nachdenklich. »Trotzdem, so etwas traue ich Olaf einfach nicht zu.«
»Er ist seltsam, Jeanine. Wer macht denn so was: den Anrufbeantworter voll quatschen, obwohl man weiß, dass der andere nicht zu Hause ist?«
»Jemand, der sehr verliebt ist.«
»Sehr verliebt war er auch in Isabel.« Ich stelle das Tablett auf den Boden. »Übrigens gibt es noch einen Kandidaten: Herrn Groesbeek.«
Jeanine lacht sich kaputt, als ich ihr von den Katzenhaaren im Tee und den leckeren Pralinen erzähle, die mir angeboten wurden. Sie lacht noch, als ich zu den Namen der Katzen komme, verstummt aber, als ich erzähle, dass ich bei der Polizei war. Weitere eventuelle Verdächtige, die mir nicht aus dem Kopf gehen, erwähne ich nicht.
»Das beschäftigt dich zurzeit sehr, was?«, sagt Jeanine.
»Wenn ich mich nur erinnern könnte, wen ich bei der Lichtung gesehen hab …«, grüble ich. »Warum hab ich nicht Alarm geschlagen? Weißt
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