Klassentreffen
ganz und gar nicht.
KAPITEL 41
Irritiert gehe ich zur Bushaltestelle. Dass man mich schief ansieht, wenn ich erwähne, dass ich in psychologischer Behandlung war, ist nichts Neues, aber jetzt hält man mich auch noch für eine kaltblütige Mörderin! Das Ganze verwirrt mich derart, dass ich nicht mehr weiß, was ich tun soll. Soll ich nach Hause, ins Krankenhaus, hier bleiben? Wohin? So lange die Polizei nichts unternimmt, kann ich nirgendwohin.
Ich fahre mit dem Bus zur Stadtmitte und gehe in meine Lieblingspizzeria in der Koningsstraat. Es ist viel Betrieb, die meisten Tische sind reserviert. Ich begnüge mich mit einem Tischchen in einer Ecke, wo ich mich ein wenig verkriechen kann, und bestelle einfach irgendwas. Der Kellner bringt warme Brötchen und Kräuterbutter, und während ich mein Brötchen bestreiche, überlege ich, was ich jetzt tun soll. Ich könnte mir hier ein Hotelzimmer nehmen, dann wäre ich in Barts Nähe. Ob Olaf sich wohl die Mühe macht, sämtliche Hotels von Den Helder durchzutelefonieren? Ich könnte ja einen falschen Namen angeben, aber was, wenn er auf die Idee kommt, mich zu beschreiben, und fragt, ob jemand von den Gästen der Beschreibung entspricht?
Übertreib nicht so, Sabine, ermahne ich mich selbst. Das macht er bestimmt nicht. Er will dir bloß Angst einjagen, und du ergreifst die Flucht wie ein gehetztes Reh.
Aber das mit dem Hotel in Den Helder ist eine gute Idee. Ich will auf jeden Fall in Barts Nähe sein, mit meiner Angst vor Olaf hat das nichts zu tun. Morgen bleibe ich dann auch
noch hier, und am späten Nachmittag könnte ich zu Robin gehen, vielleicht kann ich bei ihm übernachten.
Ich rufe bei Robin an, aber er geht lange nicht dran. Kurz bevor der Anrufbeantworter anspringt, höre ich seine Stimme, ziemlich außer Atem: »Hier Robin Kroese!«
»Ich bin’s. Sag mal, könnte ich morgen bei dir übernachten?«, falle ich mit der Tür ins Haus.
»Hey, Schwesterchen!«, ruft er munter. »Klar kannst du bei mir übernachten. Aber warum denn? Ist was passiert?«
»Das erzähl ich dir morgen«, sage ich.
»Was ist los?« Robin klingt auf einmal beunruhigt.
»Ach, das ist eine längere Geschichte, die mag ich jetzt nicht erzählen. Ich sitze nämlich in einer Pizzeria in Den Helder«, sage ich. »Aber sag mal, war Olaf zufällig bei dir? Oder hat er angerufen?«
»Er war tatsächlich vorhin da. Er sucht dich.«
»Was hat er gesagt?«
»Er hat gefragt, ob ich wüsste, wo du bist, und dass ich ihn anrufen soll, wenn ich was von dir höre. Habt ihr Streit gehabt?«
»Ja. Würdest du ihn bitte nicht anrufen und ihm auf gar keinen Fall sagen, dass ich morgen zu dir komme?«
»Warum nicht?«
»Ich erklär dir das alles morgen, Robin.«
»Okay, Schwesterchen, bis morgen.«
Er legt auf. Nachdenklich lasse ich den Blick durchs Lokal schweifen. Kann ich mich auf Robin verlassen, oder startet er womöglich einen gut gemeinten Versöhnungsversuch? Ich seufze.
Eine blubbernde Lasagne al forno wird gerade vor mich hingestellt, als mir einfällt, dass ich ja mal im Krankenhaus anrufen könnte. Sofort greife ich zum Handy und wähle die Nummer. Die Dame an der Information verbindet mich mit
Barts Station. Ich bekomme eine weitere Telefonistin an die Strippe, danach eine Ärztin oder Schwester, das ist mir nicht ganz klar. Aber das ist auch egal, Hauptsache, sie kann mir sagen, wie es Bart geht. Zu meinem großen Schrecken erfahre ich, dass er operiert wurde. Auf dem MRI-Scan wurde ein Blutgerinnsel im Gehirn festgestellt, sodass er sofort unters Messer kam. Zum Glück sei die Operation gut verlaufen. Er liege noch auf der Intensivstation, dürfe aber am Abend Besuch bekommen. Ob ich zur Familie gehöre? Nein? Dann sei es besser, ich käme morgen früh. Herrn de Ruijters Frau und die Eltern seien bei ihm, mehr Besuch würde zu viel werden.
Exfrau!, hätte ich am liebsten in den Hörer gerufen. Sie ist seine Exfrau, also hat sie genauso wenige oder viele Rechte wie ich!
Aber ich finde mich natürlich damit ab. Ich will ihn ja gar nicht besuchen, wenn die Familie um sein Bett sitzt. Morgen früh passt prima, dann habe ich ihn vielleicht für mich. Ich schicke ihm aber eine SMS, für den unwahrscheinlichen Fall, dass er noch heute Abend sein Handy anschaltet.
Ich verbrenne mir den Mund an der Lasagne. Zum Nachtisch bestelle ich Eis und Kaffee und fahre anschließend mit dem Taxi zum Hotel »Seedüne« an der Kijkduinlaan. Ich bin müde und will nur noch drei Dinge: ein warmes
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