Klassentreffen
»Seit wann bist du behindert?«
»Ich bekomme immer so ein grässliches Seitenstechen, wenn ich länger laufen muss«, erklärt Olaf. »Ein Freund von mir konnte das nicht mehr mit ansehen, deshalb hat er mir so einen Ausweis besorgt.«
Kopfschüttelnd werfe ich die Karte wieder aufs Armaturenbrett und steige aus. »Hat das Américain denn keine Parkplätze?«
»Bestimmt.« Olaf schließt das Auto ab. »Aber nur für Gäste.«
Ich will die Straßenbahnschienen überqueren, doch Olaf zieht mich genau in die andere Richtung.
Mein Blick fällt auf einen kitschig aufgemachten Poffertjes-Stand mit ein paar Plastikstühlen auf einer kleinen Terrasse.
»Wo willst du sitzen? Da in der Ecke? Von dort können wir gut Leute beobachten.« Olaf rückt mir höflich einen knallroten Stuhl zurecht. Fragend sieht er mich an, die Hand etwas linkisch an der Lehne.
Seine Augen strahlen, und mich überkommt plötzlich so etwas wie Rührung. Ich setze mich. Auf einmal erscheint mir der Poffertjes-Stand bei weitem schöner als das Marriott oder Américain. Hier braucht man sich wenigstens keine Gedanken zu machen, ob man auch passend angezogen ist.
Ein Kellner nimmt unsere Bestellung auf: zwei große Portionen Poffertjes mit extra Puderzucker und dazu Bier. Der Mann nickt und geht.
Olaf lehnt sich so weit zurück, dass der Stuhl zu kippen droht, und verschränkt die Arme hinter dem Kopf.
»War’ne gute Idee von dir«, sagt er zufrieden. »Poffertjes! Mann, ist das lange her …«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das vorgeschlagen habe.«
»Doch, heute Mittag in der Kantine. Da hast du gesagt, du hättest einen Riesenappetit auf Poffertjes.«
»Ich habe gesagt, es riecht nach Poffertjes.«
Irritiert beugt er sich vor. »Willst du denn lieber woanders essen?«
»Nein«, sage ich. »Hier gefällt’s mir. Alles okay.« Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, lehne ich mich entspannt zurück.
»Na fein.«
Und dann herrscht Stille. Eine Stille, in der jeder sein Gedächtnis nach Gesprächsthemen durchforstet. Denn was haben wir uns eigentlich zu sagen? Wir wissen ja kaum etwas voneinander.
»Wie gefällt’s dir denn bei der BANK?«, frage ich aufs Geratewohl.
»Prima«, sagt Olaf. »Die Leute in der EDV sind nett. Bisschen derber Humor, aber was soll’s. So ist das nun mal in einer Abteilung mit lauter Männern.«
»Bei euch arbeiten doch auch zwei Frauen.«
Olaf grinst. »Ich fürchte, die beiden haben einen schweren Stand, sie müssen sich ständig Männerwitze anhören. Bei euch ist’s genau andersrum, was? Lauter Mädels.«
»Ja.«
»Und sind sie nett?«
»Und wie.«
Er bemerkt die Ironie in meiner Stimme nicht. »Diese Renée kommt mir aber ziemlich rechthaberisch vor.«
»Renée? Die ist die Netteste von allen! Immer verständnisvoll, umgänglich, herzlich. Ja, mit ihr haben wir wirklich Glück gehabt.«
Olaf zieht leicht die Augenbrauen hoch, dann sieht er meinen Gesichtsausdruck und lächelt. »Ein Miststück«, sagt er.
»Genau«, bestätige ich.
»Dachte ich mir’s doch. Wenn sie mich sieht, gibt sie sich superfreundlich, fast schon anbiedernd, aber einmal, kurz bevor ich ins Sekretariat kam, hab ich mitgekriegt, wie sie jemandem die Leviten gelesen hat. Die hat Haare auf den Zähnen.«
Ich schweige, und Olaf hat offenbar auch kein Bedürfnis, weiter über Renée zu reden. Ansonsten haben wir nur die Vergangenheit gemeinsam, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass Olaf davon anfängt. Er zündet sich eine Zigarette an, bläst den Rauch hoch und guckt in die Luft. »Wie geht’s Robin denn so?«
»Gut. Viel zu tun. Er arbeitet hart. Ich hab ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesprochen, aber beim letzten Telefonat hat er mir ziemlich begeistert von einer gewissen Mandy erzählt.«
»Also hat Robin eine Londoner Schönheit aufgetan«, sagt Olaf. »Sei’s ihm gegönnt. Ich ruf ihn gelegentlich mal an. Hast du seine Telefonnummer?«
»Ja, aber nicht hier. Ich mail sie dir morgen.«
Olaf nickt und schaut gedankenverloren dem Rauch seiner Zigarette nach, bevor er das Thema anschneidet, das ich krampfhaft zu vermeiden suche.
»Sag mal«, sagt er. »Du warst doch mit Isabel Hartman befreundet, oder? Hast du noch mal irgendwas über sie gehört?«
Ich greife nach der Zigarettenschachtel zwischen uns auf dem Tisch und zünde mir eine an. Es herrscht peinliches Schweigen.
KAPITEL 11
Viel aus meiner Schulzeit habe ich vergessen. Wenn ich Robins Geschichten höre, kommt mir das
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