Klassentreffen
ist Olaf! Mit einer Zigarette im Mundwinkel sitzt er in einem schwarzen Peugeot. Er hat das Fenster ganz heruntergekurbelt, seinen kräftigen gebräunten Arm aufgestützt, und die Finger trommeln ungeduldig aufs Autodach. Dazu läuft in voller Lautstärke der neueste Hit von Robbie Williams. Mit einem Blick sehe ich, dass sich Olaf nicht in Schale geworfen hat: Er trägt Jeans und ein weißes T-Shirt.
Meine Metamorphose scheint mir auf einmal reichlich übertrieben. Ist das Rosa nicht zu süßlich, und der Kräuselsaum vom Rock irgendwie überkandidelt? Die hochhackigen Schuhe mit den zarten Riemchen sind in Ordnung, aber das Spaghettiträgertop sitzt doch ziemlich eng um den Busen, und die Träger verrutschen ständig.
Ich werfe einen letzten Blick in den Spiegel. Mit der Spange macht sich mein Haar gut: Keine Strähnen hängen ins Gesicht. Schade nur, dass ich so blass bin, aber mit dem neu erstandenen Selbstbräuner ist mein eines Bein so karottig geworden, dass ich mich nicht mehr getraut habe, das Zeug ins Gesicht zu schmieren. Aufs andere Bein übrigens auch nicht, sodass ich jetzt mit einem orangefarbenen Bein rumlaufe. Aber im Restaurant hat man die Beine sowieso unterm Tisch, und im Auto schlage ich das weiße einfach über das orangefarbene.
Tuuuuuut! Das Hupen hallt zwischen den Häusern wider. Irritiert gucke ich aus dem Fenster.
Olaf sieht mich und steckt den Kopf aus dem Autofenster. »Hey!«, schreit er. »Bist du so weit?«
Ich mache eine Geste, dass er Ruhe geben soll, schnappe mir meine Tasche und den Schlüsselbund und gehe aus der Wohnung. In Windeseile bin ich unten, trotzdem findet er noch Zeit, mich mit lautem Gehupe anzuspornen.
»Blödmann«, murmle ich, als ich leicht sauer das Haus verlasse. Olaf blockiert die schmale Straße; dass andere hinter ihm warten müssen, scheint ihn nicht zu kümmern. Ich reiße die Beifahrertür auf, steige schnell ein und sage barsch: »Fahr los!«
»Sehr wohl, Madame! Sie sehen bildschön aus.«
Ich wende schweigend das Gesicht ab.
»Was ist los? Das sagt man doch, wenn man eine Dame ausführt, oder?«, meint Olaf mit ehrlich erstauntem Seitenblick.
»Wenn man eine Dame ausführt, hupt man nicht wie ein Irrer auf der Straße rum!«, erwidere ich, und schon tut mir die Bemerkung Leid. Jung und modern will ich sein. Er soll schließlich nicht den Eindruck haben, er hätte seine Oma zu einer Spazierfahrt abgeholt. Und diesen Eindruck hat er, das merke ich daran, wie er mich anguckt. Außerdem macht er keine Anstalten, loszufahren, sondern bleibt mitten auf der Straße stehen.
»Du hättest doch einfach klingeln können«, sage ich etwas sanfter.
»Dann hätte ich in zweiter Reihe parken müssen«, verteidigt er sich. »Hast du die Radkrallen hier in der Straße nicht gesehen?«
»Dann ruf doch vom Handy aus an. Und warum fährst du nicht endlich? Hinter uns stehen schon fünf Autos!« Nervös
gucke ich mich um. Einer der Autofahrer steigt bereits aus. Ein anderer fängt an zu hupen.
»Idiot, so was macht man nicht! Ruf mich vom Handy aus an!«, schreit Olaf aus dem Fenster. Er steigt aufs Gas, und das Auto röhrt aus der Straße.
Ich kann nicht anders, ich muss einfach lachen.
Wir biegen in die Nassaukade ein und fahren geradewegs in einen Stau. Olaf schaut in den Rückspiegel, aber hinter uns halten bereits jede Menge Autos, sodass er nicht wenden kann.
»Shit«, sagt Olaf. Er kurbelt am Lenkrad und fährt nach links auf die Straßenbahnschienen. Hinter uns protestiert eine Straßenbahn mit lautem Gebimmel. Olaf bedeutet dem Fahrer, dass er gleich wieder weg ist, fährt aber noch eine ganze Weile seelenruhig auf den Schienen weiter. Das Marriott-Hotel kommt in Sicht.
Besorgt richte ich mich auf. Fürs Marriott bin ich nicht angezogen. Ich meine, ich sehe zwar gut aus in meinem neuen Outfit, aber in solchen Etablissements ist doch etwas mehr Stil gefragt.
Aber wir fahren am Marriott vorbei und dann nach links zum Leidseplein. Das Américain also. Mist! Wenn ich das gewusst hätte! Ich klappe die Sonnenblende herunter und kontrolliere mein Make-up. Das ist so weit in Ordnung. Zum Glück habe ich Lippen- und Konturenstift dabei, dann geh ich eben nachher rasch auf die Toilette.
Olaf biegt in eine Seitenstraße ein und stellt das Auto auf einem Behindertenparkplatz ab.
»Was soll das? Hier wirst du abgeschleppt!«, sage ich.
»Werd ich nicht.« Olaf zückt eine Karte und legt sie aufs Armaturenbrett.
Ich nehme die Karte und betrachte sie.
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