Klassentreffen
ab, trägt alles in die Küche und zieht mich dann vom Stuhl. Er nimmt mich fest in die Arme und küsst mich. Dabei bekomme ich Reiskörnchen und Souvlakibröckchen ab. Tapfer
schlucke ich sie hinunter. Im Grunde ist Küssen doch eine ganz schön unappetitliche Sache, denke ich, als wir unsere Zungen kreisen lassen. Man muss jemanden schon sehr mögen, wenn man das in Kauf nimmt.
Er lockert die Umarmung und sagt leise: »Ich muss wieder in die BANK, hab meine Mittagspause schon überzogen. Gehen wir heute Abend zusammen essen?«
»Ja«, höre ich mich sagen. »Gern. Aber nicht zu früh, ich bin nämlich pappsatt.«
»Gib mir schnell deine Telefonnummer, dann ruf ich an, wenn was ist.« Olaf zieht sein Handy hervor und speichert meine Nummer ein. Sicherheitshalber lasse ich mir auch seine Handynummer geben.
»Okay, ich hol dich also um acht ab. Bis heute Abend.« Olaf küsst mich noch einmal, dann geht er. Ich stelle mich ans Fenster, weil ich sehen will, ob er noch mal hochschaut. Ja! Wir heben die Hand, und mit einem Lächeln drehe ich mich um.
Yes! Ich habe eine Verabredung! Und noch den ganzen Nachmittag Zeit, um meine Frisur in Ordnung zu bringen und zu überlegen, was ich anziehe.
Als Erstes gehe ich ins Schlafzimmer und inspiziere den Kleiderschrank. In einer dunklen Ecke hängt fast schon vergessen ein einziges Kleid, das zum Ausgehen infrage kommt. Zu lang, zu orange, zu klein.
Wider besseren Wissen probiere ich es an. Orange ist total aus der Mode, auch wenn mir die lebhafte Farbe gut steht. Das heißt, sie würde mir gut stehen, wenn ich das Kleid über die Hüften bekäme. Habe ich da je reingepasst? Was für eine Größe ist das, 36? Ich gucke aufs Etikett und sehe, dass es Größe 40 ist. Größe 40, und ich passe nicht rein, dabei hatte ich 38, als ich mit dem Studium fertig war. Was ist passiert, dass ich jetzt 42 brauche?
Ich kneife mir in die Hüften und betrachte entsetzt die Speckrollen.
»Okay«, sage ich laut. »Es reicht! Kein Fett mehr, ohne Ausnahme!«
Ich probiere alles an, was im Schrank hängt, und werfe es frustriert aufs Bett. Zu alt, zu langweilig, total aus der Mode. Zu klein. Viel zu klein.
Am Ende greife ich zum Telefon und rufe in meiner Verzweiflung Jeanine auf dem Handy an. Sie ist im Büro, aber sofort ganz Ohr, als ich ihr erzähle, dass ich mit Olaf van Oirschot verabredet bin.
Sie stößt einen spitzen Schrei aus und sagt dann: »Mann, ist das dein Ernst? Der irre Typ aus der EDV? Herrje, Sabine, wie hast du denn das hingekriegt?«
»Brust raus«, sage ich cool und bekomme prompt einen Lachanfall.
»Funktioniert immer«, kichert Jeanine und sagt dann ernst: »Und, was ziehst du an?«
»Das ist ja das Problem. Ich hab nichts. Ich weiß, das sagen alle Frauen, aber ich hab wirklich nichts! Kannst du mir nicht helfen?«
»Klar! Ich komm nach der Arbeit bei dir vorbei. Dann essen wir zusammen, du kochst, okay, und anschließend gehen wir zusammen in die Stadt. Heute ist verkaufsoffener Abend, das passt also prima.«
»Ich bin aber heute Abend mit ihm verabredet!«
Einen Moment lang ist es still in der Leitung.
»Ach du meine Güte«, sagt sie. »Egal, dann nehme ich mir eben frei.«
Verblüfft starre ich den Hörer an. »Ich brauch doch nur ein paar telefonische Ratschläge.«
»Wie soll denn das gehen? Ich muss deine Garderobe sehen, vielleicht ist ja doch was dabei. Und wenn nicht, gehen
wir einkaufen, das macht immer Spaß.« Sie klingt so entschlossen und begeistert, dass ich nicht protestiere. Einen Nachmittag lang durch die Läden zu ziehen, ist mit Sicherheit kein großes Opfer für Jeanine, wird mir klar.
»Du bist echt ein Schatz«, sage ich.
»Ich weiß. Ich sehe also zu, dass ich freikriege. Wenn’s Probleme gibt, ruf ich dich an.«
Eine halbe Stunde später klingelt es. »Na, dann zeig mir mal deinen Kleiderschrank«, schallt Jeanines Stimme durchs Treppenhaus.
»Falls du den Inhalt meinst, der liegt auf meinem Bett!«, rufe ich und mache die Wohnungstür weit auf.
Jeanine geht an mir vorbei geradewegs ins Schlafzimmer. Ein Blick auf das Chaos auf meinem Bett genügt, und sie bleibt schreckensstarr in der Tür stehen.
»Du lieber Himmel!« Sie starrt auf den Haufen aus verwaschenen T-Shirts, verflusten Pullis, abgetragenen Jeans und adretten, aber biederen Kostümen. Dann geht sie zum Bett und hält voller Entsetzen formlose Leggings hoch, die ich mir in meiner schlimmsten Depressionsphase gekauft hatte, weil sie so bequem waren -, und auch
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