Klassentreffen
ich da bloß? Nervös klopfe ich die Asche von meiner Zigarette und lache gekünstelt. »Klingt nach gespaltener Persönlichkeit, was?«
»Eigentlich nicht«, sagt Olaf. »Mir kommt das durchaus bekannt vor. Haben wir nicht alle mehrere Persönlichkeiten? Für jede Situation hat man ein anderes Gesicht parat, eine andere Haltung, eine andere Art, zu reden. Ständig passt man sich an. Bei der Arbeit gebe ich mich auch ganz anders.«
Wieder ist es eine Weile still. Der Kellner räumt die Teller ab. Er fragt nicht, ob es geschmeckt hat, sondern schaut uns nur fragend an.
»Zwei Kaffee, bitte«, sagt Olaf.
Der Kellner nickt und wendet sich zum Gehen.
»Und es hat gut geschmeckt, danke«, fügt Olaf hinzu.
Der Kellner verzieht keine Miene, und Olaf verdreht die Augen. »Der denkt bestimmt: Sind doch bloß Poffertjes, Mann.«
»Aber lecker müssen sie trotzdem sein.«
»Stimmt genau!«
Rauchend warten wir auf den Kaffee. Auf einmal fällt es schwer, ein anderes, unverfänglicheres Thema zu finden.
»Was weißt du eigentlich noch von dem Tag, an dem Isabel verschwand?«, frage ich.
»Auch nicht besonders viel, außer dass ich in der Turnhalle Matheprüfung hatte. Brütend heiß war’s da drin, furchtbar. Zum Glück war die Prüfung kinderleicht. Mathe war mein bestes Fach, darum war ich schnell fertig. Robin hat noch über den Aufgaben geschwitzt, deshalb hab ich nicht auf ihn gewartet, sondern bin aufs Moped gestiegen und nach Hause gefahren. That’s it . Er hat mich dann spätabends noch angerufen und gefragt, ob ich Isabel gesehen hätte.«
»Robin hat dich angerufen? Warum dich?«
»Ich schätze mal, weil Isabels Mutter kurz vorher bei euch angerufen hatte.«
»Aber warum hättest ausgerechnet du wissen sollen, wo sie sich rumtrieb?«
»Keine Ahnung. Robin wusste eben, dass ich sie auch kannte. Und Isabel ging manchmal aus mit … äh … wie hieß der doch gleich wieder? Der Typ war bei mir in der Klasse, einer mit Jeansjacke und schwarzen Haaren. Bart! Genau, Bart de Ruijter. Ich hab Robin gesagt, dass er Bart anrufen soll.«
Ich erschrecke, bemühe mich aber um einen Gesichtsausdruck, der nichts anderes als Interesse signalisiert.
»Und? Hat er’s gemacht?«, frage ich.
»Robin hat Isabels Mutter die Telefonnummer von Bart gegeben. Aber der hatte den ganzen Nachmittag über der Matheprüfung gebrütet und Isabel überhaupt nicht gesehen. Er ist aber später von der Polizei verhört worden.«
Der Kellner stellt zwei winzige Tassen vor uns hin.
»Espresso …«, sage ich und verziehe angewidert das Gesicht.
»Magst du den nicht?«
»Das bittere Zeug? Nein, eigentlich nicht. Da, nimm du ihn.« Ich schiebe Olaf meine Tasse hin.
»Was magst du dann? Milchkaffee?«
»Nein, lass gut sein. Ich möchte lieber keinen Kaffee. Ob die hier auch was Stärkeres haben?«
Olaf lacht. »Das kommt anschließend. Lass uns nachher noch in eine gemütliche Kneipe gehen, ja?«
Der Himmel nimmt eine dunklere Blaufärbung an. Die zuckenden Neonreklamen fordern aggressiv unsere Aufmerksamkeit. Das Amsterdamer Nachtleben kommt in Gang …
Ich zünde mir noch eine Zigarette an und sehe zu, wie Olaf seinen Kaffee trinkt. Er wirkt nachdenklich.
»Robin war total verknallt in sie«, sagt er plötzlich.
Ich zucke zusammen. »Was sagst du da? Robin? Verliebt in Isabel? Niemals!«
Verwundert schaut mich Olaf an. »Aber das musst du doch gewusst haben.«
»Nein, und ich glaub’s auch nicht. Robin und Isabel? Das ist ja lachhaft!«
»Warum? War doch ein hübsches Mädchen. Die wär gut und gern für achtzehn durchgegangen. Ich wusste erst gar nicht, dass sie so jung ist, bis mir Robin sagte, dass sie in deine Klasse geht. Aber dass sie ihm gefiel, weiß ich ganz genau, auch wenn er sich nicht an sie rangemacht hat. Was im Übrigen keiner verstanden hat, denn sie war durchaus interessiert.«
»Er ist also nicht auf sie eingegangen?«, frage ich atemlos.
»Nein.« Olafs Blick wird weich. »Ist er nicht. Aber ich hab genau gemerkt, wie schwer ihm das fiel. Sie war ja unglaublich
attraktiv, und das wusste sie auch, die kleine Hexe. Wenn ihr jemand gefiel, dann musste sie ihn haben, wenn auch nur für kurze Zeit.«
Ich sage nichts, sitze wie gelähmt auf meinem roten Plastikstuhl. Robin war in Isabel verliebt. Er war verliebt. In Isabel!
»Er hat sie gehasst«, sage ich kleinlaut. »Das hat er mir selbst gesagt.«
Olaf trinkt seine Tasse leer und knallt sie so fest auf die Untertasse, dass ich automatisch hingucke,
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