Klassentreffen
ich sie geküsst. Ich hatte sie eine ganze Zeit nicht mehr gesehen und wusste erst nicht so recht, wer sie war. Als ich sie erkannte, war’s für mich gleich wieder vorbei. Ich hab auch Olaf gesagt, dass sie ein Miststück ist. Und dass sie ihn garantiert wieder fallen lassen wird.«
»Ihn fallen lassen? Olaf?«
»Ja, er ist’ne Weile mit ihr gegangen. Den hatte es ganz schön erwischt.«
Mir wird seltsam zumute. »Davon weiß ich ja gar nichts. Warum hat mir das Olaf nicht erzählt?«
»Ach, so was Besonderes war’s dann auch wieder nicht. Wahrscheinlich wollte er die Vergangenheit ruhen lassen, oder er hatte Angst, dich dadurch zu verlieren. Mach dir keine Gedanken.«
Ich mache mir keine Gedanken, aber als wir aufgelegt haben, hinterlässt das Gespräch doch einen schalen Nachgeschmack.
»Es war ja nichts Besonderes«, sagt Olaf. »Eine Beziehung konnte man das kaum nennen. Wir haben uns hin und
wieder verabredet, das war’s auch schon. Ich schätze, Robin verwechselt mich mit Bart de Ruijter. War der nicht eine ganze Zeit lang mit Isabel zusammen?«
»Nein«, sage ich nur.
Wir sind zum Essen ausgegangen: Olaf, Jeanine, Zinzy und ich. Ich habe auch an Zinzy eine SMS geschickt, und jetzt sind wir hier, in einem Restaurant, in dem man nicht auf Stühlen, sondern auf langen Holzbänken an mittelalterlich anmutenden Tafeln sitzt. Nirgends fühle ich mich momentan besser aufgehoben als in dieser ungezwungenen Atmosphäre mit meinen besten Freunden.
»Die Polizei hat ihn jedenfalls lange verhört, weil er angeblich ihr letzter Freund war«, fügt Olaf hinzu.
»Die Polizei?« Zinzy macht große Augen.
»Wurden damals viele Leute verhört?«, frage ich.
»Meines Wissens hauptsächlich die Clique, zu der Isabel gehört hat. Viel ist dabei aber nicht rausgekommen.«
Eine Weile ist es still.
»Schön für dich, dass dein Bruder wiederkommt«, sagt Jeanine dann. »Er hat dir gefehlt, was?«
Ich nicke. »Robin und ich haben uns immer gut verstanden.«
»Hat er gewusst, dass Isabel dich so auf dem Kieker hatte?«
»Ja. Meistens hat er nach Schulschluss auf mich gewartet. Und wenn ich früher aus hatte, hab ich im Hausmeisterzimmer auf ihn gewartet.«
»Wie hieß der Bursche gleich wieder?«, überlegt Olaf.
»Groesbeek«, sage ich.
»Groesbeek! Ja, so hieß er. Lieber Himmel, was hat der Kerl mir früher Ärger gemacht. Man konnte nicht schwänzen, ohne dass er es spitzkriegte. Wenn ihr mich fragt, hat der am Anfang eines jeden Schuljahrs sämtliche Stundenpläne auswendig gelernt.«
»Oder die der schlimmsten Schwänzer«, sagt Jeanine. »Wir hatten früher einen Rektor, der wusste einfach alles. Das grenzte schon an Zauberei. Aber wahrscheinlich hat er’s uns einfach angesehen, nur war uns das damals nicht klar.«
»Ich hab nie geschwänzt«, sagt Zinzy. »Das hätte ich mich nicht getraut.«
»Und ich hab mich zu oft getraut«, sagt Jeanine. »Ich kannte die Speisekarte der Imbissstube an der Ecke komplett auswendig.«
Ich starre aus dem Fenster und sehe einen graugrünen Transporter vorbeifahren. Er hat die gleiche Farbe wie der von Herrn Groesbeek.
»Hu-hu, Sabine!« Jeanine wedelt mit einem Hähnchenschlegel vor meiner Nase herum. »Bist du noch da?«
Ich wende mich wieder den anderen zu. »Herr Groesbeek hat oft Schüler mitgenommen, wenn sie bei Windstärke neun zur Schule radelten. Er hat seinen Transporter am Stra ßenrand geparkt und unsere Räder eingeladen. Manchmal fuhr er sogar zurück, um noch ein paar weitere Radfahrer mitzunehmen.«
»Nett von ihm«, sagt Zinzy.
»Der hat doch in einem Nachbarort gewohnt, oder?«, sagt Olaf.
»In Callantsoog«, sage ich und sehe wieder aus dem Fenster. Meine Gedanken schweifen ab …
Der Transporter. Graugrün.
Habe ich nicht dahinter gestanden, damals an der Ampel? Der Ampel, an der ich abbog und Isabel geradeaus weiterfuhr. Der Transporter fuhr ebenfalls geradeaus. Ja, ich habe dahinter gestanden. Ich wollte nicht von Isabel gesehen werden. Aber wie viele von diesen Transportern mögen damals in Den Helder rumgefahren sein?
»Ist Groesbeek eigentlich verhört worden?«, frage ich.
Die anderen haben bereits das Thema gewechselt; ich platze mit meiner Frage mitten in die Unterhaltung. Verdutzt sehen sie mich an.
»Keine Ahnung. Wohl eher nicht. Warum hätte er auch verhört werden sollen? Er war doch tagsüber in der Schule«, sagt Olaf.
»Nicht immer«, sage ich. »Manchmal musste er Schüler nach Hause bringen, die krank geworden
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