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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Vlugt
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waren, oder er machte irgendwelche Besorgungen für die Schule.«
    Es ist still.
    »Solche Typen wie Isabel konnte er nicht ausstehen«, sagt Olaf.
    »Ja …« Wieder starre ich aus dem Fenster.
    »Wer ist diese Isabel überhaupt?«, fragt Zinzy.
     
    Am nächsten Tag kostet es mich unglaubliche Überwindung, aufs Fahrrad zu steigen und zur BANK zu fahren. Mit wackeligen Knien gehe ich durch die Drehtür und durchquere die Halle. Die Lifttüren gleiten zu – für mich klingt es wie das Schließen von Gefängnistüren. Das Summen schwillt auf der Fahrt in den neunten Stock zu einem Alarmton an.
    Mit einem Ruck bleibt der Lift stehen. Die Türen öffnen sich. Ich gehe den Flur mit dem dunkelblauen Teppichboden entlang. Mit jedem Schritt in Richtung Sekretariat fühle ich mich mehr wie ein Häftling, der Freigang hatte und jetzt wieder in den Knast muss.
    »Hallo«, sage ich beim Eintreten.
    Renée dreht sich nicht einmal um. Margot schaut kurz auf, konzentriert sich aber gleich wieder auf ihre Arbeit.
    »Guten Morgen, Sabine«, sagt Zinzy munter. »War nett gestern Abend!«
    Renée wirft ihr einen erstaunten Blick zu, den Zinzy herausfordernd quittiert.

    Ein Glück, dass Zinzy da ist. Ohne sie würde ich durchdrehen. Jetzt weiß ich, wie Aussätzige sich früher gefühlt haben müssen. Demnächst geben sie mir wahrscheinlich eine Klapper in die Hand.
    Den ganzen Vormittag umgibt mich Totenstille. Betrete ich einen Raum, hören die anderen auf zu reden, wechseln vielsagende Blicke, und ich kriege ein Konzept nach dem anderen in meinen Eingangskorb geknallt.
    Mit der Unterschriftenmappe voller Briefe, die per Einschreiben rausmüssen, komme ich ins Sekretariat und sehe Renée und Margot Kaffee trinken; sie haben die Köpfe zusammengesteckt. Ich höre meinen und Zinzys Namen, und auf einmal werden die beiden vor meinen Augen zu Isabel und Mirjam. Im nächsten Moment ist wieder alles ganz normal.
    »Darf ich euch mal eben stören … ich hab da jede Menge Briefe, die vor zehn per Kurier wegmüssen«, sage ich möglichst locker.
    »Und?«, fragt Renée.
    »Das ist doch wohl klar. Ich brauche Hilfe, sonst schaffe ich es nicht rechtzeitig.«
    Renée guckt auf ihre Armbanduhr. »Wenn du einen Gang zulegst, kriegst du das ohne weiteres hin.«
    Schweigend sehe ich sie an und mache mich an die Arbeit. Ich schaffe es gerade noch rechtzeitig zur Poststelle, aber nur mit einem Sprint. Als ich wiederkomme, ist das Sekretariat voller Kollegen, die um eine Schachtel mit Gebäck herumstehen. Sie bringen Tessa ein Ständchen und beglückwünschen sie; als ich den Raum betrete, sind sie gerade fertig.
    »Wo bleibst du denn? So weit ist’s ja wohl nicht zur Poststelle«, sagt Renée. Sie sitzt auf meinem Schreibtisch, auf dem sich die Arbeit türmt: stapelweise Faxe, unleserliche
Konzepte und voll diktierte Bänder, die abgetippt werden müssen.
    »Nimm dir ein Teilchen, Sabine«, sagt Wouter.
    Die Gebäckschachtel ist voller Papierchen, Schlagsahnespritzer und heruntergefallenen Obststückchen. Teilchen sind da keine …
    »Sorry«, sagt Tessa. »Ich hab mich wohl verzählt.«

KAPITEL 21
    Früher wohnte Herr Groesbeek in Callantsoog, heute lebt er in einer schmalen Straße im Hafenviertel von Den Helder. Ich fahre nachmittags auf gut Glück hin und parke mein Auto vor der Tür. Die Häuschen haben keine Vorgärten, sondern stehen direkt an der Straße. Schmuddelige Gardinen wehren neugierige Blicke ab, und Schilder mit der Aufschrift HIER WACHE ICH, daneben ein schwarzer Hundekopf, geben Einbrechern die Chance, es sich noch einmal anders zu überlegen.
    J. Groesbeek steht auf dem Türschild.
    Ich klingle.
    Offenbar ist niemand zu Hause, denn eine ganze Weile bleibt es still. Ich klingle noch mal und höre schleppende Schritte. Eine Stimme grummelt: »Ich komm ja schon.«
    Der Schlüssel wird umgedreht, und die Tür geht auf. Eine gebeugte Gestalt in dunkelblauer Strickjacke und grauer Hose sieht mich grimmig an.
    Der Blick verrät ihn: So hat er früher immer die Zuspätkommer angestarrt. Die grauen Haare sind schlohweiß geworden, der Haaransatz ist ein ganzes Stück nach hinten gerutscht. Das Gesicht sieht aus wie eine Landkarte mit tief eingegrabenen Flüssen. Anders als in meiner Erinnerung, aber er ist es.
    »Schon wieder? Ich hab schon gespendet!«
    Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
    Er sieht meine leeren Hände und sagt: »Ach so. Ich dachte, Sie sammeln für die Rheumaliga.«

    »Nein«, sage ich mit meinem freundlichsten

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