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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Vlugt
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trinkt einen Schluck und sieht mich über den Rand hinweg an.
    »Wissen Sie das nicht mehr?«, frage ich.

    Er stellt die Tasse ab und streichelt die Katze, die jetzt mitten auf dem Tisch steht, direkt neben meinem Tee. Haare trudeln herab.
    »Könnte sein«, sagt er. »Ja, könnte schon sein, dass ich das gemacht hab.«
    »Dass Sie damals Hausmeister an der Schule waren, hat mir viel bedeutet, wissen Sie«, sage ich ernst. Erst denke ich, dass er meine plumpe Tour durchschaut, aber dem ist nicht so. Zum ersten Mal zeigt sich ein Lächeln auf seinem grimmigen Gesicht.
    »Dein Tee wird kalt«, sagt er. »Magst du nicht doch eine Praline?«
    »Nein, wirklich nicht. Danke.«
    Die Katze schnüffelt wieder an den Pralinen herum, bis Groesbeek sie vom Tisch hebt. »Weg mir dir, Nina, die sind nicht für dich.« Er lacht mich an, und ich lächle zurück.
    »Ehrlich gesagt, habe ich viel von früher vergessen«, gesteht Groesbeek. »Ich hab zwar gesagt, dass ich meine sieben Sinne noch beisammen hab, und ich bin auch nicht verkalkt oder so, aber ich merke schon, dass ich Sachen vergesse. Ob jemand heute zu Besuch kommt oder erst morgen. Ob ich meinen Enkelkindern schon eine Geburtstagskarte geschickt habe oder nicht. Wo ich meine Pillenschachtel hingelegt habe.«
    Er schweigt und streichelt die zwei Katzen, die auf seinen Schoß gesprungen sind. »Das ist manchmal nicht leicht, Susanne. Verstehst du das? Nein, natürlich nicht. Du bist ja noch jung.«
    »Ich verstehe das besser, als Sie glauben, Herr Groesbeek.«
    »Manchmal sitze ich auf dem Sofa und warte, dass meine Frau mich zum Essen ruft«, sagt Herr Groesbeek. Er deutet auf ein Foto im Silberrahmen auf der Kommode. »Das ist Antje. Sie ist schon seit fünf Jahren tot. Nein, seit sechs.«

    Er runzelt die Stirn, zählt lautlos vor sich hin und streichelt dabei die Katzen.
    »So ungefähr«, sagt er schließlich.
    »Erinnern Sie sich noch an Isabel? Das Mädchen, das verschwunden ist?«
    »Nein, Antje hieß sie«, korrigiert mich Groesbeek.
    »Ich meine eine Schülerin: Isabel Hartman.«
    »Hartman«, wiederholt er.
    »Sie war bei mir in der Klasse«, sage ich.
    »Ach ja?«
    »Sie hatte Epilepsie. Sie haben sie öfter mal nach Hause gefahren, wenn sie einen Anfall hatte.«
    »Da hab ich neulich eine Sendung drüber gesehen. Epilepsie. Furchtbar, wenn man das hat.«
    »Genau. Erinnern Sie sich an Isabel?«
    »Ich erinnere mich allenfalls an Gesichter, nicht an Namen.«
    Ich nehme ein Foto von Isabel aus meiner Tasche und lege es auf den Tisch. Groesbeek betrachtet es, verzieht aber keine Miene. Eine der Katzen springt von seinem Schoß auf den Tisch, auf das Foto. Ich ziehe es unter ihren Pfoten weg und halte es Groesbeek vor die Nase.
    »Furchtbar«, sagt er.
    »Was? Was ist furchtbar?«
    Groesbeek macht eine hilflose Handbewegung. Er öffnet den Mund, als wollte er etwas sagen, lässt es dann aber sein und runzelt wieder die Stirn.
    »Furchtbar ist das«, sagt er schließlich.
    » Was ist furchtbar, Herr Groesbeek?«
    »Epilepsie. Sieht aus, wie wenn man stirbt.« Zur Verdeutlichung zieht er eine hässliche Grimasse und reißt die Augen auf.
    »Haben Sie Isabel mal so gesehen?« Ich wüsste nicht, dass sie je im Beisein von Groesbeek einen Anfall hatte.

    Er wendet sich der Katze zu, die noch auf seinem Schoß liegt, und unterhält sich zärtlich, aber unverständlich mit seinem Schmusetier.
    »Katzen sind feine Tiere«, sagt er stolz. »Sind meine besten Freunde. Aber sie dürfen nicht mit ins Altersheim. Nein, nein, das dürft ihr nicht. « Er spricht mit hoher betüttelnder Stimme wie Mütter mit ihren Babys.
    »Aber Sie wissen doch noch, dass Isabel verschwunden ist, oder? Spurlos verschwunden.« Leicht verzweifelt versuche ich es auf eine andere Art. Und halte dabei das Foto hoch, für den Fall, dass er schon wieder vergessen hat, worüber wir geredet haben.
    »Hörst du das, Nina?«, sagt Groesbeek zu seiner Katze. »Genau wie Lies. Die haben wir auch nie mehr gesehen, was?«
    Ich lasse das Foto sinken.
    »Weg ist weg«, sagt Groesbeek.
    »Ja«, bestätige ich matt.
    »Manchmal findet man sie nie mehr. Dann sind sie tot.«
    Ich stecke das Foto ein, mache die Tasche zu und sehe auf meine Armbanduhr.
    »Ich muss jetzt gehen. Danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben und …«
    »Suchen hat keinen Sinn«, sagt Herr Groesbeek. »Sie sind viel zu gut versteckt.«
    »Wiedersehen, Herr Groesbeek. War nett, Sie mal wieder zu treffen. Ich finde schon allein

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