Klassentreffen
ist.
Dank des starken Kaffees komme ich wieder ganz zu mir, und zu meiner Erleichterung ist das Bild verschwunden, auch wenn ich weiß, dass ich mir den Film irgendwann ganz ansehen muss.
Das Telefon klingelt. Diesmal nehme ich gleich ab und melde mich.
»Hoch soll sie leben, hoch soll sie leben, drei Mal hoch!«, brüllt mir jemand ins Ohr.
Ich halte den Hörer ein Stück weit weg und sage lachend: »Robin!«
»Herzlichen Glückwunsch, Schwesterchen! Hast du einen schönen Tag? Ich hör gar keinen Partylärm.«
»Nein, die Leute sind alle bei der Arbeit. Gefeiert wird erst heute Abend.« Mit drei Leuten, aber das sage ich ihm nicht.
»Schade, dass ich nicht dabei sein kann. Aber ich hab gute Neuigkeiten: In zehn Tagen bin ich hier fürs Erste fertig und komme nach Amsterdam zurück.«
»Echt? Das ist ja toll! Du ahnst nicht, wie still es hier ist, jetzt, wo ihr alle im Ausland seid.«
»Kommst du einigermaßen klar?« Seine Stimme klingt besorgt.
»Aber ja. Prima.«
»Na fein. Was machst du denn gerade?«
»Kaffee kochen. Ein bisschen im Internet surfen.«
»Arbeitest du immer noch halbtags?«
Ich antworte nicht gleich, überlege, was ich sagen soll. Letztlich entschließe ich mich zu einem schlichten »Ja«.
»Was ist los?«
»Nichts, wieso?«
»Du klingst auf einmal so deprimiert.«
Vor Robin kann man nichts lange geheim halten. Es kostet auch weniger Energie, ihm die Wahrheit zu sagen, als ihm irgendein Märchen aufzutischen. Also schildere ich kurz meine glorreiche Rückkehr in die BANK. Der Name Renée fällt besonders oft.
Irgendwo in England seufzt Robin tief. »Und jetzt?«
»Ich muss da weg, Robin, und zwar bald. Aber es ist nun mal ein Risiko zu kündigen, wenn man noch keine neue Stelle hat.«
»Stimmt, da hast du Recht.«
Sekundenlang sagt keiner etwas.
»Aber jetzt was Erfreulicheres: Rate mal, mit wem ich seit kurzem zusammen bin?«, sage ich.
»Hast du einen Freund?«, fragt Robin interessiert. »Wen denn?«
»Olaf. Olaf van Oirschot.«
»Na so was!« Robin ist total überrascht. »Wohnt der etwa auch in Amsterdam?«
»Ja. Und er arbeitet auch bei der BANK. Dort sind wir uns begegnet.«
»So ein Zufall aber auch.«
»Das klingt nicht gerade begeistert«, sage ich.
»Nun ja, früher waren wir gute Freunde, aber im letzten Schuljahr haben wir uns auseinander gelebt. Ich weiß nicht recht, wie ich Olaf einschätzen soll. Er hat sich nie was sagen lassen und ist irgendwie immer ein Stück zu weit gegangen. Wenn wir zusammen durch die Kneipen gezogen sind, gab’s ständig Ärger, am Ende so oft, dass es nicht mehr schön war. Da hab ich den Kontakt dann einschlafen lassen.«
»Tatsächlich?«, sage ich erstaunt. »Das wusste ich ja gar nicht. Komisch, ich hab bisher nicht den Eindruck, dass Olaf aggressiv ist.«
»Könnte auch nur eine Phase gewesen sein«, sagt Robin. »Früher war er jedenfalls ein ziemlicher Hitzkopf, vielleicht ist er ja inzwischen ruhiger geworden.«
Ich wechsle das Thema. »Weißt du, was ich gerade entdeckt hab? Besser gesagt, eine Freundin hat mich darauf hingewiesen: Es gibt eine Website über Isabel.«
Diesmal bleibt es sehr lange still. So lange, dass ich mich gezwungen fühle, weiterzureden.
»Ihr Fall ist erst neulich in Vermisst! wieder aufgerollt worden. Außerdem soll demnächst ein Ehemaligentreffen stattfinden. Das alles beschäftigt mich auf einmal wieder sehr.«
Robin seufzt tief. »Sollte es aber nicht«, sagt er. »Lass die Dinge ruhen.«
»Ich kann nichts dagegen tun. Langsam erinnere ich mich wieder an so manches.«
Wieder Stille.
»An was genau?«
»Ach, ich weiß nicht recht. Es sind nur Bruchstücke, mit denen ich nicht viel anfangen kann.«
»Und das kommt jetzt auf einmal wieder hoch? Nach all den Jahren?«
»Es ist schon öfter was hochgekommen, aber ich habe mich immer dagegen gewehrt.« Ich seufze ebenfalls.
»Du weißt mehr, als du damals gesagt hast, stimmt’s? Das hab ich mir schon immer gedacht. Paps und Mama übrigens auch.«
»Ich bin mir nicht sicher. Mag sein, dass ich mehr weiß, aber ob das nun was Wichtiges ist … Weißt du, was Olaf behauptet hat? Dass du etwas mit Isabel hattest!«
»Ich? Wirklich nicht! Wie kommt er bloß auf so was? Hübsch war sie, das ja, aber ich wusste doch, was da zwischen euch abging. Manchmal hab ich sie beim Ausgehen in der Vijverhut getroffen, aber was Besonderes ist da nicht gelaufen.«
»Aber ein bisschen was ist schon gelaufen?«
Robin seufzt. »Na ja, einmal hab
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