Klassenziel (German Edition)
unterirdisches Zeugnis zu erwarten hat.
Dominik nahm ich an diesem Tag nur aus den Augenwinkeln wahr. Ich weiß wirklich nicht mehr, was er so gemacht hat. Ob er sich unseren Auftritt angeguckt hat, ob er sich auch Kuchen oder Würstchen oder was zu trinken geholt hat. Keine Ahnung. Ich hab einfach nicht drauf geachtet. Tut mir leid.
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I ch frage Maxi, was er so macht in seiner Freizeit. Anscheinend muss er erst mal darüber nachdenken. «Ich les ganz gern», sagt er, aber ohne viel Begeisterung.
«Ja? Was denn so?»
«Ach, alles Mögliche. Meistens Krimis. Und Stephen King.»
«Hast du nicht gesagt, du spielst Klavier?»
«Ja, hab ich früher mal. Aber jetzt eigentlich nicht mehr. Ich war auch nie so gut.» Dann erzählt er mir, dass er eine zweijährige Schwester hat, auf die er öfter mal aufpassen muss. Und anschließend redet er über Fernsehserien.
Ich stelle mir sein Leben ziemlich langweilig vor. Krimis, Babysitten, Fernsehen, Essen, das kann einen ja wohl nicht ausfüllen, oder? Es scheint, dass er keine Freunde hat, er ist auch in keinem Verein, er hat kein Hobby, macht keine Musik, Sport sowieso nicht … Mannomann. Maxi tut mir leid, aber was soll ich machen? Ich weiß nicht mal so richtig, über was ich mit ihm reden soll.
A bends war ich dann noch bei Melody DVDs gucken. Ich hatte die offizielle Genehmigung von meiner Mutter, bis elf Uhr wegzubleiben. Melody wohnte nicht weit von uns, zu Fuß vielleicht knapp zwanzig Minuten. Wir waren in ihrem Zimmer, und natürlich gingen wir uns gegenseitig an die Wäsche. Richtig vögeln war nicht drin, weil ihre Eltern zu Hause waren, aber was wir so machten, reichte völlig aus, um mein Zeitgefühl total abzuschalten. Irgendwann guckte ich auf die kleine Digitalanzeige an ihrem DVD-Player, und da war es schon 22.57 Uhr.
«Scheiße, ich muss los!» Dass ich so lange wegbleiben durfte, war nicht unbedingt selbstverständlich. Wenn ich jetzt zu spät nach Hause kam, konnte ich wahrscheinlich lange warten, bis ich noch mal die Erlaubnis kriegte. Ich knöpfte meine Jeans zu und angelte nach meinem T-Shirt, das unterm Bett gelandet war.
Draußen auf der Treppe wollte ich Melody dann den finalen Abschiedskuss geben, aber da stand plötzlich Dominik vor mir, mit dem Mopedhelm unterm Arm. Ich kriegte einen tierischen Schreck. «Was machst du denn hier? Ist irgendwas passiert?»
«Ich hol dich ab – hast du ein Problem damit?»
Das hatte ich allerdings, aber vor meiner Freundin wollte ich das nicht unbedingt zugeben. Ich ging davon aus, dass meine Mutter mir nicht zutraute, um elf Uhr abends allein von Melody bis nach Hause zu gehen. Da schickte die mir doch allen Ernstes meinen sogenannten großen Bruder, um mich abzuholen. Wie peinlich ist das denn!
Nach außen hin blieb ich aber gechillt, schwang mich auf den Rücksitz von Nicks Moped und winkte Melody noch mal zu, während er Gas gab. Ich werde nie vergessen, wie sie da in der Haustür stand. Winkend, lächelnd, vor diesem gelblichen Licht der Flurbeleuchtung und ausnahmsweise mal im Rock statt in Jeans (auf meinen ausdrücklichen Wunsch, weil man da einfach besser an die zentralen Schaltstellen rankommt). Dieses Bild verschwindet bestimmt nie wieder aus meinem Kopf.
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A uf dem Rückweg zur Schule schweigen wir die meiste Zeit. Mir ist der Gesprächsstoff schon mehr oder weniger ausgegangen. Außerdem liegen mir die fettigen Pommes schwer im Magen. Ich kaufe für Maxi und mich je eine Cola am Schulkiosk, dann gehen wir hoch zum Unterricht.
Chemie findet nicht im Klassenzimmer statt, sondern in einem eigenen Laborraum, wo man an Vierertischen sitzt. Es ist noch ein Platz bei Jacqueline, Ann-Kathrin und Lennox frei. Lennox scheint seine Strickmütze und seine Lederjacke nie auszuziehen. In der Nase hat er einen dicken Silberring, so wie ein Stier. Man hat das Bedürfnis, ihn daran in den Stall zu führen.
Der Lehrer kommt fast zehn Minuten zu spät. Er ist ungeheuer dick und trägt Hemd und Krawatte unter einem dunkelblauen Pullunder. Schnaufend lässt er sich auf seinen Stuhl fallen und streckt die Beine aus. Dann fragt er reihum irgendwelche Formeln ab, die wahrscheinlich zu heute auswendig gelernt werden mussten.
Als er mich sieht, guckt er in seinen Kalender und sagt: «Ach, du bist der Benjamin van Arcen, was?» Ich nicke höflich. Er betrachtet mich einen Moment lang, so wie man ein Gemälde im Museum anschaut. «Welche Elemente gehören denn
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