Klassenziel (German Edition)
Paket sauschwer. Immerhin sind da Bücher für elf verschiedene Fächer drin. Ich war zu dämlich, um eine Tasche mitzubringen, deshalb muss ich den Karton jetzt mit beiden Händen gegen die Brust drücken und mich so auf den langen Weg zurück nach Hause machen. Unterwegs entdecke ich eine Buchhandlung, und mir fällt ein, dass ich ja immer noch die Lektüre für Deutsch besorgen muss. Also gehe ich mit einem Riesenpaket voller Bücher in das Büchergeschäft rein. Ich bin ein echtes Organisationstalent.
Als ich nach Hause komme, tun mir die Arme und die Hände weh vom Schleppen. Erschöpft schmeiße ich mich mit der Deutschlektüre aufs Bett. Je länger ich in dem Buch lese, desto mieser fühle ich mich. Was dieser Lukas da so alles erlebt, weckt in mir eine Flut von unerwünschten Erinnerungen. Da gibt es zum Beispiel eine Passage, wo er ein Referat halten soll und sich auch wirklich ganz gut vorbereitet. Aber dann wird er von seinen Mitschülern ausgelacht, weil er aus Versehen die Bilder falsch beschriftet hat, und sein Lehrer behauptet, er hätte offensichtlich keine Lust gehabt, ordentlich zu arbeiten.
Ich muss sofort an Nick denken und an sein Englisch-Referat über diesen fürchterlichen Songtext. Klar, wahrscheinlich war das keine besonders glückliche Wahl, aber er hatte sich wenigstens Mühe gegeben und war ausnahmsweise mal wirklich mit Eifer bei der Sache gewesen. Trotzdem hatte er genau wie dieser Lukas überhaupt kein Lob dafür erhalten.
Nach dieser Szene muss ich mich regelrecht zum Weiterlesen zwingen. Ich kann einfach nicht verhindern, dass jeder Satz mich an Dominik erinnert, und meine Beklemmung wächst. Ich weiß nicht, wie das Buch ausgeht und ob es am Ende wirklich zu einem Amoklauf oder irgendeiner Gewalttat kommt, aber vorausgesetzt, es ist so: Gibt der Wiesner uns dann die Aufgabe, über ähnliche reale Vorkommnisse zu recherchieren? Vielleicht muss ich dann ein Referat über den Amoklauf in Viersen halten.
Ich klappe das Buch zu und schiebe es in meinen Schrank. Ganz nach hinten, hinter die T-Shirts. Wo ich es nie mehr sehen muss.
E inmal haben wir auch gespielt, ich wäre Dominiks Katze. Eigentlich fing alles ganz harmlos an. Ich wurde gekrault und musste schnurren und mich auf dem Rücken wälzen. Dann sollte ich eine Fellmaus jagen. Und am Schluss stellte Nick mir ein Schälchen Milch auf den Boden und wollte, dass ich wie eine Katze daraus trinke.
Ich versuchte, ihm klarzumachen, dass das zu weit ging und dass mir dabei Milch in die Nase kommen würde und dass ich mich ekelte (das Schälchen war nämlich der Napf von unserer richtigen Katze). Aber da fing er an, mich zu treten, und schrie: «Los, jetzt trink, du blödes Vieh! Trink jetzt sofort deine verdammte Milch!» Und ich kriegte Angst. Deshalb tunkte ich meine Zunge so lange in den Napf, bis er zufrieden war.
Ich glaube, jetzt hatten wir auch wieder so einen Punkt erreicht, wo Nick zu weit ging. Ich meine, in Filmen sieht das immer ziemlich geil aus, wenn einer dem anderen das Handy abnimmt und es kaputtmacht, aber tatsächlich hatte ich dieses Handy zum Geburtstag gekriegt, und es war ein ganz neues Smartphone. Da waren all meine Adressen drin gespeichert und meine Musik und die Fotos von unserem Auftritt heute Morgen!
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M ein Vater hatte Ärger bei der Arbeit und erzählt mir beim Abendessen davon. In einem der Ladenlokale, die er gerade neu einrichtet, wurde viel zu früh der Boden verlegt, dabei war der Estrich noch nicht getrocknet. Jetzt muss alles wieder rausgerissen und neu gemacht werden. Der geplante Eröffnungstermin kann nicht eingehalten werden. Und obwohl er selbst eigentlich keinen Fehler gemacht hat – er beauftragt für solche Arbeiten ja andere Firmen –, trägt er trotzdem die Verantwortung.
«Du verdienst doch insgesamt ganz gut an denen. Da ist das doch nicht so schlimm, wenn die was von der Rechnung abziehen, oder?», frage ich.
«Na ja, verhungern werden wir deswegen nicht», gibt er zu. «Aber so was ist einfach schlecht fürs Image.» Er guckt trübsinnig ins Leere. Dann atmet er tief durch. «Komm, jetzt erzähl du mal. Wie war’s bei dir?»
M orgen gibt’s Zeugnisse», sagte Dominik. Wir starrten beide geradeaus in die Dunkelheit. Ich versuchte, mein Zittern zu unterdrücken.
«Du kriegst ja bestimmt wieder eins zum Einrahmen», fuhr er fort, weil ich nichts dazu sagte. Und nach einer Pause: «Und ich hab das Klassenziel nicht erreicht .»
Ich gab immer
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