Klausen
Einrichtung der Wohnung trug zu dieser Stimmung noch bei, die dunkle Holzvertäfelung, die einen Eindruck machte, als sollte die Decke alsbald mit möglichst großer Wucht auf die Besucher stürzen. Schließlich verabschiedete sich auch Stadtrat Valli, der die ganze Zeit über kaum etwas gesagt hatte. In der Tür blieb er allerdings noch einmal stehen und fragte plötzlich einige Dinge. Er fragte gewisse Dinge über Delazer, keiner wußte so recht, warum, und Paolucci gab ihm sehr spekulative Antworten, Mutmaßungen über Mutmaßungen (es steht jedem frei, hier beliebige Dinge zu erfinden). Valli wunderte sich überhaupt über alles. Alle redeten von diesem Laner und Delazer, sagte er, alle taten, als sei etwas über die Maßen Schlimmes passiert, er könne aber nicht verstehen, was passiert sei, denn zum einen habe sich doch inzwischen fast mit Sicherheit erwiesen, daß weder Auer noch dieser Herumlungerer Badowsky oder gar Zanetti (»… Zanetti, was für eine unsinnige Vermutung! … Wie kommt man nur darauf? …«) an dem Überfall auf Zurner teilgenommen hätten, und also auch höchstvermutlich Gasser nicht. Aber zum anderen mußte doch wenigstens etwas geschehen sein , da es ansonsten nämlich überhaupt keinen Anlaß gab, über diese Dinge zu reden. Valli fragte also interessiert nach, bekam aber keine deutliche Auskunft und stellte fest: Was genau geschehen war, man konnte es offenbar nicht herausbekommen. Freilich, Zurner war zusammengetreten worden. Aber das schienschon der Vergangenheit anzugehören, neue Entwicklungen hatten sich ergeben, und neue Konsequenzen waren von diesen neuen Entwicklungen zu erwarten, schlimmere Konsequenzen als die bloße Mißhandlung eines einfachen Brixner Bürgers. Das Unvorhersehbare beängstigte Menschen wie Valli und spannte sie auf eine brutale Folter. Dann holte Valli dort im Türrahmen einen Zettel aus seiner Tasche und fragte, was der Titel des heutigen Vortrags bedeuten solle. Er schaute Sonja, Gruber und Paolucci dabei prüfend ins Gesicht, so als mißtraue er ihnen schon, bevor sie überhaupt eine Antwort gegeben hatten. Valli: Heidegger habe er vorhin im Lexikon nachgeschlagen, es handle sich um einen Philosophen, einen deutschen Philosophen, soviel wisse er unterdessen, aber … sei er gefährlich? Paolucci: Wieso gefährlich? Valli: Man weiß es ja nicht. Wir wissen ja alle nicht, worüber Zanetti sprechen wird. Wißt ihr, es gibt ja da diese Theorie, daß Zanetti der Urheber des Pamphlets sei, und zwar, um die Leute aufzuregen, aus dem alleinigen Grund, daß sie heute abend alle massenhaft in seinen Vortrag strömen, von dem sie sich irgend etwas Entscheidendes erwarten. Ja, irgend etwas Entscheidendes erwarten sie mit Sicherheit … Und niemand weiß, worüber er sprechen wird beziehungsweise warum er genau über dieses Thema sprechen wird. Sonja: Wie kommen denn die Leute auf den Gedanken, er könnte in seinem Vortrag irgend etwas Entscheidendes sagen? Er hält einen Vortrag über einen Philosophen, das ist doch nicht weiter ungewöhnlich in einemVolksbildungsverein. Nun, sagte Valli, sie meinen das wegen dieser Theorie, von der ich eben gesprochen habe, der Theorie mit dem Pamphlet. Sonst wäre doch das Pamphlet ganz überflüssig … Sonja: Aber das dreht sich doch im Kreis! Da wird das eine durch das andere und das andere wiederum durch das eine begründet, das ist doch kompletter Unsinn. Valli: Ja, Unsinn … er wisse nicht … er wisse es ja selbst nicht. Und dann dieses Wort Ontologie . Er habe das Wort ebenfalls im Lexikon nachgeschlagen, aber was dort zu dem Wort stehe, habe er nicht recht begreifen können. Er wolle sagen, er könne sich nicht vorstellen, daß man darüber einen Vortrag halten könne oder auch nur wolle , das sei doch alles völlig unklar und ohne jeden Zusammenhang, so daß man meinen könnte, es handle sich hierbei um bloße … um bloße Täuschung. Im übrigen soll Zanetti an den Weltuntergang glauben. Aha, sagte Paolucci. Valli schaute ihm bedeutsam ins Gesicht. Dann ging er. Sich umdrehend: Und ob sie wüßten, daß Gasser sich neulich als Architekt ausgegeben habe? Paolucci sagte, ihn dürfe er da nicht fragen, er sei neuerdings fast ständig in Mailand und seit Wochen nur selten in Klausen gewesen. So, seit Wochen, sagte Valli und schaute ihn sehr erstaunt an. Das wußte ich ja gar nicht, daß du seit Wochen … Er schaute zwischen Gruber und Paolucci hin und her, nun wieder mit einem großen Mißtrauen im Gesicht. Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher