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Klebstoff

Klebstoff

Titel: Klebstoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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Stimmen, aber mir fallen die Namen nicht ein. Irgendwo dazwischen ist vielleicht ein bester Freund oder eine alte Liebe; wie leicht es mir ihm Verlauf des letzten Jahrzehnts gefallen ist, Unmengen davon zu sammeln, wie aufrichtig wirkte das alles zum jeweiligen Zeitpunkt, und wie oberflächlich und hohl heute. Aber sie sind alle um mich rum, sind miteinander zu einer einzigen unsichtbaren Kraft menschlichen Wohlwollens verschmolzen. Vielleicht sterbe ich gerade. Vielleicht fühlt sie sich so an, die Reise in den Tod. Die Zusammenkunft der Seelen, die Erklärung, die Vereinigung zu einer einzigen spirituellen Kraft. Vielleicht sieht so das Ende der Welt aus.
    Ein süßlicher Geruch, der mir in die Nase steigt, intensiviert sich und schlägt dann in meiner Nase in einen widerlichen, chemischen Gestank um. Es schüttelt mich, mein Körper verkrampft sich einmal, zweimal, dann ist es weg. Aber mein Kopf schwillt so stark an, dass mir ist, als würden mir die Schädel-und Kieferknochen bersten, dann zieht er sich wieder auf normale Größe zusammen.
    – Verdammt, Reedy! Das Letzte, was er noch braucht, ist ne beschissene Nase voll Amyl, meckert eine Mädchenstimme. Langsam kann ich sie deutlicher erkennen; goldene Dreadlocks, in Wirklichkeit wohl eher schmutzigblond, aber für mich sind sie golden. Ihre Züge erinnern mich an eine weibliche Ausgabe des Arsenal-Spielers Ray Parlour. Sie heißt Celeste und ist aus Brighton. Brighton in England, nicht Brighton hier. Es muss auch hier eins geben. Bestimmt.
    Irgendwas hat sich in meinem Kopf festgesetzt; Gedanken laufen wie auf einer Endlosschleife. Ich schätze, das ist mit »durchdrehen« gemeint: Fixe Idee hoch zwei.
    Reedy beginnt jetzt vor meinen Augen Gestalt anzunehmen. Seine großen blauen Augen, seine kurz geschorenen Haare, seine wettergegerbte Haut. Diese alten Lumpen sind so willkürlich zusammengenäht, dass es fast unmöglich ist, zu erkennen, was da verfickt nochmal das ursprüngliche Kleidungsstück war. Alles besteht aus Flicken. Alles. Alles hier ist Flickwerk. Von nichts als Nasswasser zusammengehalten, es wartet nur drauf, auseinander zu fallen. – Sorry, Carl, Alter, entschuldigt sich Reedy. – Ich wollt dich nur wieder beleben.
    Ich müsste Helena anrufen, aber zum Glück ist mein Handy im Arsch. Hier oben hat man sowieso keinen Empfang. Ich bring’s einfach nicht über mich, mich zu entschuldigen, zuzugeben, dass ich mich wie ein Arschloch verhalten hab. Das passiert, wenn man sich so zuknallt: Es hebt die Zeit auf, bringt einen an nen Punkt, von dem aus jeder Versuch, sich zu entschuldigen, alles nur noch schlimmer machen kann, daher versucht man es gar nicht erst. Jetzt ist es gut, ich spüre, wie mir ein Lächeln um den Mund spielt. Allerdings werde ich schon bald in diesem einsamen Wartezimmer des Entsetzens und der Ängstlichkeit sein.
    Ängstlichkeit.
Meine Platten.
    – Wo sind meine verdammten Platten?
    – Du bist nicht in der Verfassung zum Auflegen, Carl.
    – Wo sind die Scheißplatten?
    – Entspann dich … hier sind sie doch, Alter. Aber du wirst heut nicht auflegen. Immer mit der Ruhe, sagt Reedy eindringlich.
    – Ich werd sie trotzdem wegballern … hör ich mich sagen. Ich forme mit meinem Zeigefinger eine Pistole und mache ein lächerliches Detonationsgeräusch.
    – Komm schon, Carl, sagt Celeste Parlour, – setz dich erst mal ne Weile ruhig hin und werd wieder klar im Kopf. An dem du übrigens eine Beule hast.
    Celeste aus Brighton. Reedy aus Rotherham. Tausende von Engländern, Iren und, ja, Schotten, wohin ich auch komme. Lauter fähige Köpfe. Kalifornien, Thailand, Sydney, New York. Die hängen nicht bloß rum, machen nicht bloß einen drauf, leben nicht mal einfach bloß so. Die schmeißen verfickt nochmal die ganze Show, legal oder illegal, Neohippie oder Neoliberaler, das ganze brachliegende unternehmerische Talent, total frei, Akzent spielt keine Rolle, die machen den Einheimischen vor, wie’s geht.
    Australien war anders, das war wirklich das letzte Neuland. So viele Heads waren hier gestrandet, nachdem die Riot Police und die Schattenwirtschaft der Drogen dealenden Schwachköpfe, die die Thatcher-Jahre nach oben gespült haben, ihren Traum zerstört hatten. England kam einem alt und minderwertig vor, seltsamerweise noch mehr unter New Labour mit der Modernisierung, den Wein-Bars und Koks schniefenden Medien-und Werbeschwuchteln überall. Es gehörte nur ein trübsinniges »Austrinken, Herrschaften« dazu, die

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