Klebstoff
jetzt, nur noch eine Stunde entfernt, irgendwas für Schottland zu empfinden. Ich will bloß ins Bett.
Lügen.
Es waren alles Lügen. Wir gingen uns aus dem Weg, weil wir uns gegenseitig an unser Versagen als Freunde erinnerten. Trotz all unserer großen Reden war unser Freund allein gestorben.
Es waren alles Lügen.
Ich ging Terry und Billy aus dem Weg.
Gally hatte mir erzählt, dass er den Virus hat. Er hatte sich ein paarmal in Leith zusammen mit nem Typ namens Matty Connell nen Druck gesetzt. Nur zwei- oder dreimal, weil er so deprimiert war, wie das mit seinem Kind lief. Der Spinner, mit dem seine Perle zusammen war, der, den das Kind Dad nannte.
Mark McMurray hieß der Knabe. Gails Stecher. Doyles Kumpel. Zweimal hatte er Gally was weggenommen.
Polmont nannten wir ihn. Den Dalek.
Armer Polmont. Armer Gally.
Gallys erster Sex brachte ihm gleich ne Schwangerschaft und ne lieblose Zwangsehe ein.
Sein erster oder zweiter Druck brachte ihm den Virus ein.
Er erzählte mir, dass er das Hospiz nicht ertragen konnte, niemanden ertragen konnte, seine Ma und so, im Bewusstsein, dass Drogen daran Schuld waren; Heroin und AIDS . Er dachte, er hätte seiner Mutter schon beinah alles abverlangt, mehr ginge nich.
Wahrscheinlich dachte er, Tod durch nen Unfall im Suff klänge besser als Tod durch AIDS . Als hätte sie es so sehen können.
Gally war ein anständiger Junge, trotz allem.
Aber er hat uns verlassen.
Er hat uns verlassen, ich sah das Ganze, sah, wie er so stur geradeaus starrte, als wir ihm zuriefen, er soll nicht so bescheuert sein und sofort wieder zurück über das Geländer kommen. Gally war schon immer ein Kletterkünstler gewesen, aber er war über das Geländer der George- IV – Brücke gestiegen und sah aufs Cowgate runter. Es war die Art, wie er da runtersah, in einer seltsamen Trance. Und ich sah alles, ich stand am dichtesten bei ihm. Billy und Terry waren Richtung Forrest Road weitergelaufen und zeigten ihm so, dass sein Buhlen um Aufmerksamkeit sie ungerührt ließ.
Aber ich war direkt neben ihm. Ich hätte ihn berühren können. Ich hätte den Arm ausstrecken und ihn packen können.
Nein.
Gally riss sich kurz aus seinem hypnotisierten Zustand, und ichsah, wie er sich aufdie Unterlippe biss und die Hand zum Ohrläppchen wanderte und an seinem Ohrring drehte. Es schien selbst nach den vielen Jahren immer noch verschorft zu sein und zu nässen. Dann schloss er die Augen und schritt oder fiel, nein, er schritt von der Brücke, fiel sechzig Fuß tief und schlug unten auf die Straße auf.
Ich brüllte: – GALLY ! WAS ZUM … SCHEISSE … GALLY !
Terry drehte sich um, erstarrte für eine Sekunde, schrie irgendwas, dann packte er sich in die Haare und begann mit den Füßen aufzustampfen, als stünde er in Flammen und versuchte sie auszutreten. Es war ein verrückter Veitstanz, es war, als würde etwas, dass mit ihm verbunden war, absterben, von ihm weggerissen.
Billy lief sofort den kleinen, gekrümmten Weg runter, der nach unten zur Straße führte.
Ich blickte über die Brüstung und sah Gally auf der Straße unten liegen, beinah, als würde er sich nur tot stellen. Ich weiß noch, dass ich dachte, das wär irgendwie ein Witz, eine Verarsche. So als hätte er es auf rätselhafte Weise geschafft, zu der Straße runterzuklettern, und sich hingelegt, um uns an der Nase rumzuführen, so wie damals, als wir klein waren und uns gegenseitig bei Japse und Commandos »erschossen«. Der eigene Augenschein schien auf verrückte Weise im Widerspruch zu der entsetzlichen Hoffnung zu stehen, so stark, dass einem übel davon wurde, es wäre alles nur ein bizarres, abgekartetes Spiel. Dann sah Terry mich an und brüllte: – Jetzt komm doch, und ich folgte ihm den engen Weg zur Hauptstraße runter, wo Gally lag.
Meine Schläfen pochten und die Sehnen im Nacken fühlten sich wie Messer an. Es war immer noch möglich, dass gleich alles wieder so sein würde wie vorher: ein paar Fotzen auf Sauftour. Aber dieser Wunschgedanke, diese Hoffnung wurde zerstört, als ich sah, wie Billy Gallys Körper an sich drückte.
Ich erinnere mich noch an diese betrunkene, zugekiffte Kuh, die ständig sagte: – Was ist passiert? Was ist passiert? Wie eine Geisteskranke wiederholte sie das immer und immer wieder. Ich wollte, dass sie an seiner Stelle tot wär. – Was ist passiert? Was ist passiert? Heute weiß ich, dass das arme Mädchen unter Schock gestanden haben muss. Aber ich wollte, dass sie an seiner Stelle
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