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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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Wochen ihre
neue Adresse mitgeteilt.) Sie sagte: »Stimmt etwas nicht zu Hause? Geht es dir
gut? Du hast doch Schule!«
    »Alles bestens«, sagte er.
    Er versuchte sich unauffällig ihrem
Griff zu entwinden. Peinlich berührt, schoß er Blicke auf die Vorbeigehenden.
Sie ließ ihn widerwillig los. Sie sagte: »Komm, laß uns... hast du schon zu
Mittag gegessen?«
    »Mittag? Ich habe gerade erst
gefrühstückt.«
    Ja, es war noch Morgen, oder?
Sie war wie benebelt, fühlte sich desorientiert, fast wie beschwipst. »Dann
vielleicht eine Cola«, sagte sie.
    »Okay.«
    Sie schob ihn in Richtung
Rick-Rack’s Café, ein guter Grund, ihn wieder anzufassen. Wie hart sich sein
Arm anfühlte! Oh, sie hätte wissen können, daß ausgerechnet Carroll schließlich
zu ihr kam! (Das Kind, das letzten Endes am meisten an ihr hing — das liebste,
das ihr am nächsten stand. Aber sicher hätte sie über die beiden anderen das
gleiche gedacht!)
    »Es gibt soviel, das du mir
unbedingt erzählen mußt«, sagte sie zu ihm. »Wie ist die zehnte Klasse?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Hatte dein Vater wieder seine
Herzbeschwerden?«
    »Nicht daß ich wüßte.«
    »Geht’s Ramsay und Susie gut?«
    »Klar.«
    Was dann? hätte sie am liebsten
gefragt. Doch schon fiel sie zurück in die Verschwiegenheit, das
Auf-sich-beruhen-Lassen, wie ihre halberwachsenen Kinder es erwarteten. Sie
begleitete Carroll die George Street entlang, atemlos beinah. »Trifft sich
Ramsay noch mit dieser geschiedenen Person? Dieser Velma?« fragte sie.
    Achselzucken. Aha.
    »Und was ist mit Susie?«
    »Was soll sein?«
    »Weiß sie inzwischen, was sie
nach der High-School machen will?«
    »Hö?« sagte er und sah auf das
Bon-Jovi-Poster im Plattenladen.
    Sein Benehmen war frustrierend
wie immer, und immer noch schien er beim Reden demonstrativ ein Gähnen zu
unterdrücken. Sie zwang sich zur Geduld. Sie führte ihn an Shearsons
Spirituosen vorbei, vorüber an Brents Eisenwarenladen und durch die Tür in
Rick-Rack’s Café.
    »Dee-Baby!« begrüßte Rick sie
überschwenglich und legte seine Sportzeitschrift beiseite. Allein an seinem
Gruß erkannte sie: der Schwiegervater saß an der Theke. (Für Mr. Bragg
übertrieb er immer.) »Wen haben Sie denn da mitgebracht?« fragte er.
    »Das ist mein Sohn Carroll.« Zu
Carroll sagte sie: »Das ist Rick Rackley.«
    »Olälä, Ihr Sohn!« rief Rick.
»Na, so was!«
    Carroll stand starr da. Delia
merkte, wie sie ärgerlich wurde. Von Höflichkeit keine Spur! »Komm, wir setzen
uns an einen Tisch«, sagte sie schroff.
    Teensy war nirgends in Sicht.
Also schnappte Delia sich zwei Speisekarten vom Stapel auf dem Hocker. Als sie
saßen, reichte sie Carroll eine. »Ich weiß, es ist noch früh«, sagte sie, »aber
du solltest das Barbecue-Sandwich probieren. Nord-Karolina-Stil, kein bißchen
süß oder — «
    »Ma«, flüsterte Carroll.
    »Was?«
    »Ma. Ist das Rick -Rack?«
    »Was?«
    »Rick Rackley, der
Footballspieler?«
    »Wieso, ja, schon.«
    Carroll starrte mit offenem
Mund auf Rick, der seinem Schwiegervater Kaffee in seinen Becher nachschenkte.
Dann drehte er sich wieder zu Delia und flüsterte: »Du kennst Rick-Rack
persönlich? Rick-Rack kennt dich?«
    Das ging ja besser als
erwartet. Als sei es das Natürlichste von der Welt, sagte sie: »Na, klar«, und
rief wie zum Beweis: »Wo steckt denn Teensy, Rick?«
    »Sie ist gegenüber im
Haarparadies«, sagte er und setzte die Kaffeekanne zurück auf die Heizplatte.
»Ruft, wenn ihr wißt, was ihr bestellen wollt.«
    »Gibt es schon
Barbecue-Sandwich? Oder ist es noch zu früh?«
    »Nee, wird gemacht.«
    Carroll sagte: »Ich habe eben
gefrühstückt, Ma. Hab’ ich doch gesagt.«
    »Ja, aber das darfst du dir
nicht entgehen lassen«, sagte sie. »Kein Tropfen Tomatensauce! Und köstliche
Pommes frites und selbstgemachter Weißkohlsalat!«
    Keine Ahnung, warum sie so ein
Theater machte. Carroll hatte eindeutig keinen Hunger, er starrte immer noch
Rick an. Dennoch rief sie: »Zwei Barbecues, bitte, Rick, und zwei große Cola.«
    »Schon in Arbeit!«
    Mr. Bragg drehte sich auf
seinem Hocker, nahm sie genau aufs Korn. Mit seinem schütteren weißen
Stoppelkopf wirkte er wie elektrisch aufgeladen. »Nanu!« rief er. »Was ist denn
mit dem Jungen los?«
    Delia sah beunruhigt zu
Carroll.
    »Der ist aber schnell
gewachsen?« fragte Mr. Bragg. »Warum ist er plötzlich so groß?«
    Sie überlegte, ob der alte Mann
ihre Gedanken gelesen hatte, doch dann sagte er: »Weihnachten war er doch

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